Am 12. Mai 2022 fand im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie des Bayrischen Landtages eine Anhörung statt zur Situation der Prostituierten. Dabei sollten sowohl deren Lage nach der Corona-Pandemie als auch die Auswirklungen des ProstSchG dargestellt werden.
Inzwischen liegt das Wortprotokoll der Anhörung vor – einschließlich der vielen Stellungnahmen. Das Wortprotokoll gibt genau wieder, was die einzelnen „Experten“ gesagt haben und lässt tief blicken auf die Haltung der Einzelnen und deren Wortwahl.
Der Kreis der eingeladenen „Experten“ war sowohl bunt als auch fragwürdig und verbreitete Spannung. Als Sachverständige waren eingeladen: Inge Bell, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Terre des Femmes–Menschenrechtefür die Frau e. V., Berlin, Liane Bissinger, Fachärztin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Ärztin für Naturheilverfahren, München, Michaela Fröhlich, Einrichtungsleitung der Beratungsstellen Mimikry und Marikas für Menschen in der Sexarbeit, Juanita RosinaHenning, Mitbegründerin des Vereins Doña Carmen e.V., Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, Frankfurt, Joana Lilli Hofstetter, Schatzmeisterin, Gesellschaft für Sexarbeits–und Prostitutionsforschung e.V.(GSPF), Düsseldorf, Viktoria K., Netzwerk Ella, Unabhängige Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution, Wiesbaden, Stephanie Klee, Fachberatung, Kassandra e.V., Nürnberg, Rodica Knab, Fachberatungsstelle SOLWODI, Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Beziehungsgewalt,Augsburg, Juliane von Krause, Geschäftsführerin, STOP dem Frauenhandel und Fachberatungsstelle Jadwiga, München, Ruby Rebelde, Vorständin bei Hydra e.V. und Stipendiatin der Magnus–Hirschfeld–Gesellschaft, Berlin, Helmut Sporer, Kriminaloberrat a.D., Augsburg, Johanna Weber, Politische Sprecherin, Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD e.V.), Berlin.
Themenkomplexe: I. Allgemeine Situation der Prostituierten und Gewerbetreibenden in Bayern auch mit Blick auf die Auswirkungen der Corona Pandemie II.Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) in Bayern III.Schutz, Unterstützung und Beratung 1.Gewaltschutz (u.a. sexualisierte Übergriffe, körperliche und psychische Gewalt) 2.Gesundheitsschutz 3.Beratungsstruktur für Sexarbeitende 4.Ausstiegshilfsprogramme IV.Illegale Prostitution, Zwangsprostitution, Menschenhandel V.Handlungsbedarfe und Zukunftsperspektiven
Unsere Pressemitteilung: Zu obiger Anhörung sind Bordellbetreiber*innen und ihre Verbände als Experten nicht eingeladen. Das halten wir für einen Fehler!
Denn wenn man die Situation von Sexarbeiter* innen nach der Corona- Pandemie und im Kontext der Umsetzung des ProstituiertenSchutzGesetzes (ProstSchG) verstehen will, muss man sich auch mit der Perspektive der Bordellbetreiber*innen auseinander setzen.
Bordellbetreiber*innen sind die ersten Ansprechpartner für Sexarbeiter*innen. Sie vermitteln zu den Behörden, Gesundheitsämtern und Fachberatungsstellen und erlauben die Durchführung von Streetwork in ihren Räumen.
Sie beraten und informieren u. a. auch über rechtliche Rahmenbedingungen der Prostitution. Denn die meisten Sexarbeiter*innen arbeiten meist nur eine kurze Zeit in einem Bordell, manche immer nur für 1-2 Monate jährlich. Die meisten sind sehr mobil, reisen von Stadt zu Stadt und sind angewiesen auf die Infrastruktur einer Prostitutionsstätte. Dies sind neben komplett eingerichteten Arbeitszimmern auch Sicherheitsstrukturen, Sanitäreinrichtungen und Aufenthaltsräume für den kollegialen, professionellen Austausch.
Bordellbetreiber* innen per se und immer wieder als Kriminelle und Ausbeuter zu bezeichnen ist nicht nur falsch, sondern auch unproduktiv. Sie unterliegen starken Reglements nach dem ProstSchG und werden regelmäßig von den Behörden kontrolliert.
Wir fordern
eine Einbeziehung von Bordellbetreiber*innen bei allen Gesetzesvorhaben und Diskussionen,
eine Anpassung des ProstSchG, z. B. eine Unterscheidung und Abstufung der Maßnahmen für kleine und große Prostitutionsstätten und
die Aufhebung aller diskriminierender Sondergesetze, z. B. die Sperrgebietsverordnungen.
Nach der Anhörung berichten wir über diese und stellen uns Ihren Fragen ab 13.30 Uhr am Wiener Platz/München
Seit Jahrzehnten schwebt das Damoklesschwert „Baurecht“ über den Bordellen. In unzähligen Gerichtsverfahren wurde immer wieder pauschal (= typisierend) und ohne Würdigung des betroffenen Einzelfalles entscheiden:
Bordelle stören – besonders in Wohn- und Mischgebieten,
Bordelle gehen einher mit „milieubedingten Begleiterscheinungen“ (u. a. Störungen, Alkohol, Lärm, Kriminalität),
Bordellen haften ein sog. Trading-down-Effekt an
und deshalb dürfen sie nicht in Wohn- und Mischgebieten angesiedelt werden, sondern max. in Industrie- und Gewerbegebieten.
Weil das Bau- und Baunutzungsrecht weder Bordelle, Prostitutionsstätten oder ähnliches nennt (allerdings z. B. Tankstellen, Hotels, Gewerbe des täglichen Bedarfs), setzte sich in der Verwaltung die Rechtsauffassung durch, dass
eine typisierende Betrachtungsweise beibehalten werden müsse und
dass die häufig in Eilverfahren ergangenen negativen Gerichtsentscheidungen für die baurechtlichen Schließungsverfügungen zugrunde gelegt werden müssten.
Bordellbetreiber*innen scheuten oft lange, emotionale und im Ausgang ungewisse Gerichtsprozesse und knickten ein bzw. sie waren allein wegen der Kosten dazu nicht in der Lage. Als Verband haben wir vielmals dazu Stellung genommen und unsere Mitglieder auch in Gerichtsprozessen aktiv unterstützt.
Ein Berliner Bordell gab nicht auf und erzielte mit der Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Margarete von Galen vor dem Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig einen enormen Sieg:
Das Landesverwaltungsgericht muss sich der Sache jetzt erneut annehmen und hat die individuelle Situation des Bordells zu berücksichtigen – weg von der typisierenden Betrachtung. Das Verfahren ist also noch nicht zu Ende. Wir drücken weiter die Daumen.
Doch einmal mehr ist deutlich geworden: das Bau-, Baunutzungsrecht muss endlich verändert und den tatsächlichen Verhältnissen in der Branche angepasst werden. Das ist eine schöne Aufgabe für die zukünftige Bundesregierung!
Die Corona-Inzidenzzahlen fallen – dank der vielen Impfungen und des guten Wetters. Z. T. liegen die Inzidenzwerte schon unter 50, im Bundesdurchschnitt unter 100. In allen Bundesländern werden Lockerungen vorgenommen, auch für Gastronomie, Hotels, Museen, Einzelhandel und körpernahe Dienstleistungen (Kosmetik und Massage).
Prostitution darf hier nicht außen vor bleiben! Sexarbeit muss wieder erlaubt werden – Bordelle müssen wieder öffnen dürfen!
Es reicht. Wir alle haben einen extrem hohen Beitrag zum Schutz der Gesellschaft und zur Eindämmung der Pandemie geleistet:
z. T. waren wir länger geschlossen als andere Gewerbe,
überall wurden Corona-Hygienekonzepte umgesetzt,
z. T. wurden enorme Investitionen vorgenommen gegen die Verbreitung der Aerosole.
Nachweisbar waren Bordelle, aber auch Restaurants, Hotels und Kulturstätten keine Superspreader. Auch konnten hier die Behörden leicht die Einhaltung der Corona-Hygienemaßnahmen überprüfen: Abstand, Mund-Nasenschutz, Lüften, Desinfizieren, Kontaktdatenerfassung, reduzierte Anzahl von Personen/1 : 1 Kontakte.
Diese Branchen mit einer Verlängerung des November-Lockdowns zu „bestrafen“, ist weder zielführend, noch verhältnismäßig, noch sinnvoll.
Hier haben nachweisbar keine Infektionen stattgefunden. Es handelt sich unter den geltenden Hygienemaßnahmen quasi um „geschützte Räume“.
Vergleichbare Branchen wie Massageinstitute und Frisöre können arbeiten. Im öffentlichen Nahverkehr trifft eine Vielzahl von Menschen ständig aufeinander.
Bordelle, Restaurants, Hotels und Kulturstätten ermöglichen den Menschen ein Minimum an sozialem Leben außerhalb der Kleinfamilie, ein wenig Freude neben dem Homeoffice, der Konzentration auf das Private und die strikte Vermeidung der Kontakte. Damit werden Menschen körperlich, psycho-sozial und mental gestärkt, die Corona-Einschränkungen gut zu überstehen.
Jede Verlängerung des Lockdowns stellt diese Branchen mit seinen vielen Mitarbeiter*innen und betroffenen Solo-Selbstständigen – trotz jeder staatlichen Unterstützung – vor große Probleme. Es drohen mehr und mehr Insolvenzen. Existenzen werden zerstört.
Werden die Corona-Nebenfolgen bewusst in Kauf genommen?
Geöffnete Bordelle, Restaurants, Hotels und Kulturstätten können einen wertvollen Beitrag leisten für die Gesundheit der Gesellschaft, gegen unkontrollierbare Kontakte im Privaten und für ein verantwortungsvolles Leben mit Corona.
Seit dem 06. Juni (bzw. 01. Juli) sind die Bordelle in unseren Nachbarländern Holland, Belgien, Schweiz, Österreich, Tschechin und Griechenland wieder geöffnet – alle sexuellen Dienstleistungen sind dort erlaubt. Es liegen also Erfahrungen von mehr als 2 Monaten vor.
Die Meldungen bestätigen:
die Geschäfte laufen schleppend an und erreichen vielleicht 20 % der Umsätze der Vor-Corona-Zeiten,
Corona-Schutzmaßnahmen sind – mit wenigen Mühen – umsetzbar,
sexuelle Dienstleistungen sind mit Mund-Nasenschutz durchzuführen,
die Kunden geben anstandslos ihre Kontaktdaten an,
bisher wurden keinerlei Infektionen in Bordellen oder aus ihnen heraus gemeldet.
Aus der Schweiz liegt sogar eine erste Untersuchung vor. So hieß es in einer Pressemeldung vom 02. 08. 2020: COVID-19: Bisher keine Ansteckungen in Sex-Clubs bekannt Und weiter: „Diese Woche hat das Bundesamt für Gesundheit „BAG“ erste Zahlen zu bekannten Ansteckungsorten veröffentlicht. Für die Rotlicht Branche sind es gute News. Trotz Befürchtungen aus gewissen Kreisen, Erotikbetriebe würden die Verbreitung des Coronavirus begünstigen, weiss man heute, dass dies nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Die aktuellen Zahlen, welche durch die kantonalen Contact-Tracer beim BAG eingingen, zeigen keinen einzigen Fall, der auf einen Sexclub zurückzuführen ist. Auch andere Orte mit engem Körperkontakt, wie Massagestudios oder Coiffeursalons, scheinen keinen nennenswerten Einfluss auf die Zahlen der Neuansteckungen zu haben.“ (https://www.lustmap.ch/de/news/covid-19-bisher-keine-ansteckungen-in-sex-clubs-20/?fbclid=IwAR1bmI7ErxUDoL_DKZpIZtNYipmw_PFmmUG6EzBzTSA4MoMEUTzkSXlGA3g)
Seit dem 16. 07. öffnen bayerische Städte ebenfalls wieder die Bordelle, wenn diese ein Corona-Hygienekonzept vorliegen haben und wenn sie einen 1 : 1 Kontakt zwischen einer (1) Sexarbeiter*in und einer (1) Kund*in sicherstellen können.
Ähnlich sieht es in Berlin aus: ab 08.08. zunächst nur für erotische Massagen und BSDM-Praktiken. Ab 01. 09. sind alle sexuellen Dienstleistungen – unter Corona-Schutzmaßnahmen – erlaubt.
Saarland hat die Bordelle ab 06. 08. geöffnet und Thüringen ist dem gefolgt zum 20. 08.
Wir fordern: Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt folgt den positiven Beispielen und öffnet sofort die Bordelle!
Sexarbeiter*innen und Bordellbetreiber*innen haben die gleichen Rechte wie andere Erwerbstätigen und andere Branchen. Wir sind zudem erwiesenermaßen seit Jahrzehnten die Experten in Sachen Gesundheit und Hygiene. Auch uns ist der Schutz vor einer Ansteckung mit Covid19 wichtig.
Wir fordern Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit.
Eine längere Schließung der Bordelle hat mit der Pandemie nichts zu tun!