„Wenn es diese Damen nicht gäbe,…….“

Gastbeitrag von c Hanni

„Wenn es diese Damen nicht gäbe, sähe es in mancher Ehe schlimm aus.“ So äußerte sich meine Mutter, als ich mit ihr vor einigen Jahren einen Tagesbummel über die Reeperbahn machte, bei dem wir einigen Sexarbeiterinnen in ihrem Alltag beim Bäcker oder am Geldautomat begegneten. Meine Mutter war damals Anfang 60 und gerade in die Rente übergangen aus einem langen, anstrengenden, aber auch vielfältigen Verkäuferinnenjob. In gewisser Weise hatte sie dabei auch Dienst am Kunden gemacht: immer freundlich, immer
auskunftsbereit, immer einfühlsam, immer attraktiv, immer geschickt. Besonders ihre lange Zeit in der Dessousabteilung eines Kaufhauses war sensibel bis knallhart in der Umgehensweise sowohl bei Herren wie Damen.


Aber eigentlich machte meine Mutter diese Aussage, weil sie eine dieser erwähnten schlimmen Ehen selbst erfahren musste, auch wenn die Dauer mit knapp 1 Jahr eher kurz war. Für konform lebende Menschen ist es eher ungewöhnlich, das Angebot von Sexarbeit zu unterstützen. Aus ihr jedoch sprach ihre Gewalterfahrung als junge Frau Ende der 60er Jahre. Umso stärker war ihr Mut, damals geschieden, trotz Armut und mit kleinem Kind, zurück in die elterliche Wohnung zu gehen, die ebenfalls nicht frei von unschönen Dingen war, dabei kalt und viel zu eng. Ihr kleines Verkäuferinnengehalt hielt alle 4 Personen zusammen mit einer kleine Rente über Wasser, was aber auch bedeutete, dass es Hunger gab. Doch die Befreiung aus den Gewaltarmen, die sich v. a. sexuell zeigten, war wichtiger und nötiger. Ihr wurde erst später klar, wie sehr ihr Ex-Mann im sexuellen Umgang „anders“ war und wie sehr es geholfen hätte, wenn es dafür professionelle Hilfe gegeben hätte – Hilfe in Form von „Auslebenkönnen“ seiner Sexualität statt Verkrampfen und Abdriften in Gewalt an seine nächste Umgebung.

Das Trauma der Kriegsgeneration wirkte hier zusätzlich und es gab auch keine Sprache für diese Probleme. Sie begriff, dass Sex nicht unbedingt mit Liebe zu tun hatte; dass Sex in vielen Spielarten vorhanden ist; dass sich andere Probleme, Erziehung, Vorerfahrung darin widerspiegeln; dass es Erfahrung braucht und keine naive erste junge Liebe, um damit zurecht zu kommen; dass Gewalt erst entsteht, wenn etwas nicht gelebt werden kann, das ganz tief verwurzelt ist; und dass es oft mit Scham besetzt ist, was das Reden darüber leider oft unmöglich macht (wo es doch so hilfreich sein kann).

Nun gibt es viele Gründe, warum es der Sexarbeit bedarf. Diese kleine Geschichte verdeutlicht nur einen unter vielen. Es gibt diese vielen Gründe genau so oft wie es Gründe gibt, nicht jeden Tag das Gleiche zu essen (wie auch Currywurst nicht unbedingt besser/schlechter als Rinderfilet ist – je nach individuellem Geschmack und Zubereitungskunst und Qualität der Zutten, etc.); nicht immer will man den gleichen Urlaubsort aufzusuchen, oder man will Karriere machen bzw. das Leben auf sich zukommen lassen; man will Bücher lesen oder Leistungssport machen oder künstlerisch gestalten. Das Leben ist vielfältig, die Sexualität ist es auch.

Warum wir uns als Gesellschaft so schwer tun, dies wirklich zu akzeptieren, sodass auch die Sexarbeit eine ganz normale Tätigkeit sein kann, werde ich nie verstehen. Man findet Gründe in der Historie, in der Religion, in der Erziehung, in der Gruppendynamik; viele schlaue Menschen haben sich damit beschäftigt. Und doch ist z. B. die einfache Aussage einer Frau, dass sie gerne mit vielen Männern schläft, ein Tabu. Sowohl die meisten Männer wie Frauen reagieren irritiert. Die Frau wird sogar beschimpft. Man wendet sich von ihr ab oder tut so, als hätte man es überhört.

Gleichzeitig bleiben der Konsum von Pornografie, die Inanspruchnahme von Sexarbeit, das Fremdgehen, sexistische Witze, ausufernde Partys u. v. m. in all den Jahrzehnten stets hoch. Warum können wir uns nicht einfach ganz offen freuen, dass es so viele Möglichkeiten im Sex gibt? Warum können wir es nicht jedem selbst überlassen, ob/wie/wann man Sex hat? Ob dafür bezahlt werden will oder ob es mit Liebe geschehen soll? Ob es um Treue geht oder eine offene Beziehung? Es werden bestimmt nicht alle Probleme dadurch behoben sein, wenn wir offener werden; aber mit der Einschränkung oder gar dem Verbot der Ausübung von (gekauften) Sex wird das Leben auf jeden Fall ärmer, schwieriger, verlogener und auch der Gewalt ausgesetzt. Umso wichtiger ist es, dass Sexarbeit nicht im Verborgenen stattfindet (gerade jetzt), nicht den „dunklen Seiten“ des Geschäfts überlassen wird, damit alle so viel Sicherheit bekommen, wie sie brauchen und keine unerwünschten Zwangshandlungen
ausgeübt werden – indem man offen mit der Sexualität bzw. der Sexarbeit und den diversen Hilfsangeboten umgeht.

C Hanni

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