Krisensitzung in der Eichhörnchen-Bar

Fred, der Betreiber der Eichhörnchen-Bar, stürmt sichtlich nervös in den Barbereich und ranzt gleich Betty und Natascha an, ohne sein sonst freundliches „Guten Tag. Alles frisch?“ Die haben es sich in den bequemen Sofas gemütlich gemacht und ziehen sich auf dem Großbildschirm – quasi in Kinoqualität – irgendeine Serien rein…Wahrscheinlich handelt es sich um „Sturm der Liebe“.
„Wie sieht es denn hier aus? Wie in einer Jugendherberge! Hatte ich nicht angekündigt, dass heute der Barbereich tabu ist? Los: sofort aufräumen. Alles muss blitzblank sein. Und: sind die Getränke kalt gestellt? Die Kaffeemaschine in Ordnung?“

Fred schreckt zusammen. Betty und Natascha werden hektisch, denn es hatte am Nebeneingang geklingelt. „Das werden doch nicht schon die Kollegen sein?“

Doch Sabrina gibt gelassen Entwarnung. Sie ist die Älteste im Laden und weiß Fred zu nehmen. „Es ist die Pizzeria Milano. Sie bringen das Büffet. Sie sind zu zweit.  Ich habe sie in die Küche gebracht und kümmere mich um alles. Keine Sorge. Ich habe alles im Griff. Ich bin auch schon fertig umgezogen und werde jedem Besucher entsprechend öffnen und jeden freundlich begrüßen. Macht ihr hier klar Schiff!“

Freds Schultern entspannen sich. Betty und Natascha haben in Windeseile alles aufgeräumt, sauber war eh alles und Betty kommt auch schon mit den Blumen. Frische Blumen sind ein Markenzeichen der Eichhörnchen- Bar. Heute sind es voll erblühte, rote Pfingstrosen. Ein leichter Duft verbreitet sich gleich in der Bar aus. Fred stellt beruhigend fest, dass er ein tolles Team hat. Auf Alle ist Verlass. Alle arbeiten Hand in Hand.

Er hat andere BordellbetreiberInnen zu einer Krisensitzung eingeladen. Ehrenwerte Geschäfteleute. Sie könnten auch ein Hotel oder eine IT-Firma führen. Auch Frauen führen mehr und mehr Bordelle, kleine und große. Und wenn Fred z. B. an Marina aus Bayern denkt: Ja, die führt die Bonanza – Bar in München sehr gut. Hochachtung hat er vor ihrer Leistung. Der Laden stand vor dem Corona-Lockdown wie eine EINS da: die Kunden fühlten sich wohl, die Frauen verdienten gutes Geld und waren gern hier und Marina hatte alle Schulden ihres Vaters regeln können und war inzwischen aus dem Gröbsten raus. Und voller Neid musste er sich auch eingestehen, dass sie ein gutes Werbekonzept verfolgte und Erfolge erzielte mit dem neuen Gütesiegel. Ob er sich nicht auch mal darum kümmern sollte?

Jetzt hört er die ersten Autos auf dem Hof vorfahren. Und es klingelt: 1 x – 2 x – 3 x.

Langsam steigt wieder sein Puls. Gelassen kommen Olli Müller aus Sachsen, Hansi Obermayer aus Rheinland-Pfalz, Detlef Blumen aus Hessen und Marina aus München rein. Es folgen Susi aus Berlin und Ramona aus Potsdam, die sind zusammen gekommen. Er kennt sie schon länger und sie duzen sich bereits. Und schwupp die wupp ist die Bude voll. Alle sind pünktlich.

Sabrina, Betty und Natascha bewegen sich perfekt zwischen ihnen. Bringen die gewünschten Getränke, schenken nach und füllen das Büfett auf. Und sie ernten den ein und anderen bewundernden Blick. Ach, seine Mädels!

Helmut Welle aus Hamburg ergreift das Wort: „Lasst mal anfangen. Was ist los, Fred. Du warst so geheimnisvoll am Telefon. Aber sicher hast du uns zusammengetrommelt, um gemeinsam zu überlegen, wie es mit unseren Läden weitergeht, wann die Politik die Bordelle wieder öffnen wird. Mensch, ich bin pleite. Ich kann nicht mehr. Bald kann ich Insolvenz anmelden. Und dann?“

K-D aus Frankfurt am Main, schon ein älterer Herr kann da schon seinen Mund nicht halten: „Ich habe euch schon immer gesagt, ihr müsst euer Geld mehr festhalten. Nicht so viel Party machen. Dann wärst du auch jetzt ruhiger.“

Die Stimmung schaukelt sich hoch: „Von wegen ruhiger. Was sollen denn die blöden Vorwürfe!

  1. Wir wären nicht in der Lage, Corona-Schutzmaßnahmen in unseren Geschäften zu beachten.

1,5 Meter Abstand ist doch klar, so wie hier. Ist komisch, aber geht und ist zu unser aller Gesundheit.
2. Sex mit Mund- und Nasenschutz sei nicht machbar. Ich habe es selbst mit meiner Evi ausprobiert. Geht                easy. Ich seh zwar auch lieber ihr schönes Gesicht und ihre Verzückung, aber es geht. Wir schauen uns halt            tiefer  in  die Augen, wenn sie auf mir reitet.
3.  Auch das mit der Dokumentation geht. Ich habe einige Stammkunden angerufen. Im ersten Moment waren           die verdutzt. Konnten es nicht glauben. Aber dann habe ich ihnen erklärt, es sei wie im Restaurant. Nichts             anderes. Und nach 4 Wochen werden die Daten vernichtet.“

Und schon geht es heiß her. Alle sind empört über die Vorwürfe, die von Seiten der Politik und zudem von den Gerichten kommen. Als würden sie, ohne zu überlegen, voneinander abschreiben.

Susi macht sich groß: „Ich bin zutiefst enttäuscht von der Politik. Diese abwertende, paternalistische Haltung ist zum Kotzen. Steht uns nicht das gleiche Recht zu wie allen anderen? Muss man uns nicht, wie allen Gastwirten und Geschäften und Hotels das gleiche zutrauen?  Diese Ungleichbehandlung verstößt eindeutig gegen den Gleichheitsgrundsatz von Art 3 Grundgesetz! „ Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Von wegen: Dann müssten nach den Massage-, Tattoo-, Kosmetik-, Fitnessstudios und Restaurants und Hotels und und und auch die Bordelle wieder öffnen.“

„Ich frage mich, woher die so genau wissen, wie es in unseren Läden abgeht? Aerosole überall, schwitzende Körper, stundenlang im direkten Körperkontakt gefangen, gleich viele auf der Matte, wie in der Disko. Die haben doch keine Ahnung: bei mir geht es züchtig zu – fast wie im Kloster. Erst auf den Zimmern kommt es zum direkten Kontakt zwischen einem (1) Kunden und einem (1) Mädel. Und dann geht alles ruhig und gesittet zu. Nix Party!“

Fred schaltet sich ein: „Es ist wie es immer schon war. Wenn die Leute Sex hören, geht mit ihnen die Phantasie durch. All das, was sie sich schon immer nur gewagt hatten zu träumen, sehen sie jetzt in der Prostitution. Überall Sodom und Gomorra. Eigentlich verlagern sie ihre geheimen Wünsche auf unsere Branche. Sie trauen sich nur nicht, sie auszuleben.
Und dann ist ihre Meinung auch geprägt von den TV-Krimis und falschen Geschichten: „Sex and Crime“ läuft immer. Und natürlich sind wir die Bösen, die Kriminellen, die Ausbeuter. Da können wir machen, was wir wollen: mit den Behörden gut zusammen arbeiten, fleißig Steuern zahlen, den Kunden einen guten Service und den Frauen einen tollen Platz zum Geld verdienen geben. Nichts ist passend. Wir bleiben der Abschaum, der Dreck. Und jetzt unter Corona wird dieses Bild nach oben gespült und gibt ihnen Gelegenheit, ihre Moral raushängen zu lassen.

Und das bei fallenden Infektionszahlen. Bei Öffnung der Wirtschaft für fast alle Bereiche. Bei riskantem Verhalten bei Demos und Partys – ohne Corona-Schutzmaßnahmen und ohne neue Infektionsherde.

Und wir würden uns an die Schutzmaßnahmen halten. Wir sind doch nicht blöd. Wir bekämen Stress ohne Ende, wenn auch nur 1 Person sich bei uns infizieren würde.“

„Schluss mit dem Geheule.“ Marina ergreift das Wort und moderiert zielstrebig: „Lasst uns einen Plan machen. Was ist möglich? Was kriegen wir gestemmt? Wer kann was beisteuern?“…

Natürlich verläuft das weitere Gespräch unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Aber klar ist: es trafen sich 16 Bordellbetreiberinnen und Betreiber in der Eichhörnchen-Bar.

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