Jedes Jahr erinnern Sexarbeiter*innen an die spektakuläre Kirchenbesetzung der französischen Kolleg*innen 1975 in Lyon/Frankreich (https://bsd-ev.info/internationaler-hurentag-2-juni/) und machen in Aktionen und Demonstrationen auf die immer noch fehlende Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen aufmerksam.
Die Coronapandemie hat besonders deutlich gemacht, wie unfair der Staat beim Thema Sexarbeit handelte: Prostitution war z. T. verboten und die Bordelle waren länger geschlossen als andere Branchen. Es entstand z. T. große Not und Abhängigkeiten. Bis heute hat sich die Branche nicht von diesen Benachteiligungen erholt.
Hinzu gekommen sind die Folgen des Krieges in der Ukraine, die Energiekrise und die allgemeine Inflation.
Die Evaluierung des seit 2017 gültigen ProstituiertenSchutzGesetzes (ProstSchG) sollte eine Chance sein, endlich fundierte und überprüfbare Fakten und Daten zu bekommen – weg von Fehlinformationen, Klischees, Vorurteilen und von konservativen Werten geprägte Forderungen (https://bsd-ev.info/evaluation-des-prostschg/).
Sexarbeit ist Arbeit!
Es besteht hier dringender Änderungsbedarf!
Die regelmäßige gesundheitliche Pflicht-Beratung und Registrierung von Sexarbeiter*innen (z. T. ½ + jährlich) gehört abgeschafft.
Mindestanforderungen für die Prostitutionsstätten müssen je nach Größe und der Art des Betriebes gestaffelt werden.
Streichung der Baunutzungsgenehmigung für alle Altbetriebe, die vor dem 01. Juli 2017 bestanden, und Änderung der BauGesetze – weg von der typisierenden hin zu einer Einzelfall-Betrachtung.
§ 38 des ProstSchG legt fest, dass die „Auswirkungen dieses Gesetzes auf wissenschaftlicher Grundlage unter Einbeziehung der Erfahrungen der Anwendungspraxis und eines wissenschaftlichen Sachverständigen“ zu erfolgen hat. Diese Evaluation soll in der Zeit vom 01. Juli 2022 bis 01. Juli 2025 durchgeführt werden.
Im Sommer 2022 hat das Kriminologische Forschungsinstitut in Hannover mit der Evaluation des ProstSchG begonnen. Das Kriminologische Forschungsinstitut? Was hat Kriminologie mit Sexarbeit zu tun? Einer legalen Tätigkeit, der mit dem Prostituiertenschutzgesetz bürokratische Regeln auferlegt wurden – z. T. wie für andere Gewerbe im Gewerberecht?
Wird solch ein Institut die Veränderungen durch das Gesetz für alle Beteiligten der Branche überhaupt verstehen? Oder eher alles durch die besagte „kriminologische Brille“ betrachten?
Die Website des Instituts gibt einige Antworten. Darüber hinaus konnten wir in Erfahrung bringen, dass
Interviews mit Sexarbeiter*innen, Kunden und Bordellbetreiber*innen geplant sind – mit qualitativen und quantitativen Methoden,
neben Behördenmitarbeiter*innen und
Vertreter*innen des sog. Nordischen Modells,
„Fokusgruppen“ werden gebildet und befragt und
eine rechtliche Betrachtung des ProstSchG im Kontext des Strafrechts und des Baurechts soll vorgenommen werden.
Noch sind viele Fragen offen!
Leider hat die Evaluation des ProstG gezeigt, dass zwar viel geforscht und viel geschrieben wurde, aber die Politik keine Konsequenzen darauf zog. D. h. damals wurden z. B. nicht das Gewerberecht und das Baurecht geändert, obwohl schon klar war, das hier Änderungsbedarf bestand.
Wir werden die Evaluation des ProstSchG begleiten und fordern u. a. die Bundestagsabgeordneten und zuständigen Bundesministerien auf, parallel eine Expertenkommission (ähnlich einem Runden Tisch) einzurichten, um sich miteinander mit den einzelnen Abschnitten des ProstSchG zu beschäftigen und dann zügig nach der Vorlage der Evaluation gesetzliche Konsequenzen einzuleiten.
Natürlich müssen an dieser Expertenkommission auch Sexarbeiter*innen, Bordellbetreiber*innen, Kunden und deren Interessenvertretungen beteiligt sein. Denn nur die sind die wahren Experten!
„Das heimliche Treiben der Männer & Justitias Macht“
Heute am Internationalen Hurentag, wo 1975 französische Sexarbeiter*innen auf gesetzliche und gesellschaftliche Diskriminierungen aufmerksam machten und u. a. die Kirche von Saint Nizier besetzten, müssen wir feststellen, dass sich seitdem nicht viel geändert hat: nach wie vor ist unsere Forderung nicht erfüllt: Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen!
Das ProstG von 2001 hat Sexarbeiter*innen zwar das Recht auf den Lohn festgeschrieben und die Möglichkeit geschaffen, Bordelle sicher zu führen. Aber unsere Hoffnungen waren größer. Wir wollten eine völlige Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen und Branchen.
Seyran Ates/Rechtsanwältin: „Feminismus und Sexarbeit. Geht das?“ „Nachdem ich mit vielen Sexarbeiterinnen gesprochen habe, sage ich, dass wir immer auf die Betroffenen hören müssen, ohne das Leid in der Branche zu leugnen. Feminismus bedeutet für mich, dass ich jedes System und jede Ideologie bekämpfe, was Frauen unterdrückt, diskriminiert und entrechtet. Daher benötigen auch Sexarbeiter/innen gesetzlichen und gesellschaftlichen Schutz. Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung von Frauen kann nur gemeinsam und durch besseren Schutz und rechtlichen Voraussetzungen verhindert werden.“ (https://seyranates.de/)
Das ProstSchG von 2016 stellt einen Rückschritt dar, auch wenn man in den Erlaubnissen für Prostitutionsstätten eine gewisse Rechtssicherheit sehen muss. Die ist jedoch nur gegen verhältnismäßig hohe Auflagen, die einheitlich für alle Arten von Prostitutionsstätten gelten, und mit vielen, unnötigen Kontrollen zu bekommen. Hinzu kommt, dass das Baurecht nicht angepasst wurde. Nach wie vor wird den Bordellen eine sog. Typisierung unterstellt, die meist mit den Realitäten nichts zu tun hat. Damit werden Existenzen und gute Arbeitsbedingungen zerstört.
Dr. Margarete Gräfin von Galen/ Rechtsanwältin: „Abschied von der Typisierung?“ „Nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 9. November 2021 festgestellt hat, dass diskrete Wohnungsbordelle eine Einzelfallprüfung erfordern, wird es Zeit, dass die Berliner Verwaltung ihre Praxis dieser Rechtsprechung anpasst. Die Passivität der Berliner Behörden bei der Erteilung von Erlaubnissen für Bordellbetriebe – Bordellbetreiber:innen warten seit 4 ½ Jahren auf ihre Erlaubnisse – ist eines Rechtsstaats nicht würdig. „ (https://www.galen.de)
Die regelmäßigen gesundheitlichen Beratungs- und Registrierungspflichten im ProstSchG für Sexarbeiter*innen sind demütigend und begründen keinerlei Schutz. Für keine anderen Erwerbstätigen bestehen solche Kontrollen.
Die Corona-Pandemie mit den unverhältnismäßig langen Bordellschließungen und einem Prostitutionsverbot haben gezeigt, dass die soziale Absicherung und die staatliche Unterstützung für Sexarbeiter*innen mangelhaft sind. Offensichtlich hat der Staat nur ein Interesse an den Steuereinnahmen aus der Sexarbeit, aber nicht an der strukturellen Fürsorge.
Sexarbeiter*innen mussten z. T. trotz Verbotes weiter anschaffen – um zu überleben. Doch außerhalb der Bordelle waren sie mehr Gewalt, Ausbeutung und Abhängig-keiten ausgesetzt. Die Pandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, wohin ein Prostitutionsverbot, wie z. B. in Schweden führt. Das ist kein Schutz!
Trotzdem halten Prostitutionsgegner*innen daran fest. So wurde in einer Nacht- und Nebelaktion, am 7. Juli 2021, ca. 1.15 Uhr, dem letzten Tag vor der Sommerpause die sog. Freierbestrafung im 232a Abs. 6 StGB verschärft. Das Gesetz trat am 1. Oktober 2021 in Kraft. Ein Kunde wird danach mit bis zu 3 Jahren Haft bestraft, wenn er LEICHTFERTIG die sexuellen Dienstleistungen eines „Menschenhandelsopfers“ oder einer „Zwangsprostituierten“ annimmt. Was heißt hier leichtfertig? Woran soll ein Kunde die „Not“ der Sexarbeiterin erkennen? Das ist unmöglich. So werden Kunden kriminalisiert und unter Generalverdacht gestellt. Und wie wollen die Behörden dies überprüfen?
Will die Politik mit diesem Symbolgesetz ein Prostitutionsverbot durch die Hintertür einführen?
Bianca Wach/Zimmervermietung Rose in Berlin: „So ist das.“ „Sich als Zwangsprostituierte zu outen, bedarf eines großen Vertrauensverhältnisses, das langfristig aufgebaut werden muss. Das besteht nicht gegenüber Behörden, von denen man abhängig ist, und auch nicht gegenüber Kunden, die einen meist nur kurz besuchen. Wer zur Prostitution gezwungen wird, wird alles dafür tun, dies zu verheimlichen…..um keinen Stress mit dem „Zuhälter“ zu bekommen.“ (https://www.rhinstrasse101.de/)
Stephanie Klee/BSD: „Wir klagen an.“ „Es reicht! In welch einer Gesellschaft leben wir, wo einer großen Gruppe = den Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Bordellbetreiber*innen konsequent ihre Rechte abgesprochen werden? Müssen diese immer wieder vor Gericht eingeklagt werden?“
Wir sind wütend!
Wir wollen als Sexarbeiter*innen keine Diskriminierung und Kriminalisierung unserer Kunden.
Wir wollen als Bordellbetreiber*innen weiterhin gute und sichere Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und gewähren selbstverständlich Transparenz.
Deshalb unterstützen wir die Verfassungsbeschwerde von zwei Kunden, die Herr Rechtsanwalt Dr. Martin Theben heute, am 2. Juni 2022 beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht hat.
Damals wie heute gilt: Rechte und Respekt für alle Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Bordellbetreiber*innen.
Forderungen:
Aufhebung aller Sondergesetze,
Aufhebung der regelmäßigen Registrierungs- und Beratungspflichtpflicht für Sexarbeiter*innen im ProstSchG,
Überführung der Regelungen für Prostitutionsstätten ins Gewerberecht, aber mit Differenzierungen und ohne Anwendung des Baurecht mit der falschen Typisierung,
Respekt und Anerkennung von Sexarbeit als Teil des Wirtschaftslebens.
2. Juni 2022
Stephanie Klee Tel. 0174 91 99 246 Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V.
Wir nehmen den Internationalen Hurentag zum Anlass und laden Sie zur Pressekonferenz ins FKK Artemis/Berlin ein.
Das ProstG von 2001 hat der Prostitutionsbranche – entgegen der Kriminalisierung durch das StGB – erstmals Rechte eingeräumt und sie in die Nähe des Wirtschaftssystems gerückt: Sexarbeiter*innen wurde ein rechtlicher Anspruch auf ihren Lohn zugesprochen und Bordellbetriebe können seitdem als solche geführt werden.
Das ProstSchG von 2016 ist einen Schritt vor und einen Schritt zurückgegangen: Sexarbeiter*innen müssen sich einer regelmäßigen gesundheitlichen Pflichtberatung und -Registrierung beugen (was es für keinen anderen Beruf gibt) und alle Prostitutionsstätten – ob groß oder klein, ob FKK oder Wohnung – müssen die gleichen Mindestanforderungen erfüllen, erhalten aber dann eine Erlaubnis (ähnlich der Konzession im Gewerberecht).
Das Baurecht stellt in diesem Kontext oft eine nicht zu überwindende Hürde dar und führt oft in die Vernichtung einer über Jahre aufgebauten Existenz.
Die Umsetzung des ProstSchG ist Ländersache und gestaltet sich schwierig. Die Corona-Pandemie hat die Branche zusätzlich gebeutelt. Während wie in einem Brennglas die strukturellen Probleme deutlich zu Tage traten, führte die Politik hinterrücks weitere Gesetze ein, die als Symbolgesetze große Auswirkungen auf alle Beteiligten, die Sexarbeiter*innen, die Kunden und die Bordellbetreiber*innen haben werden. So wurde im § 232a Abs. 6 StGB die sog. Freibestrafung nochmals verschärft. Das der Branche anhaftende Image der Kriminalität wird damit festgeschrieben, wobei die Realitäten ganz anders aussehen. Und es werden ein weiteres Mal Rechte beschränkt.
Wir wehren uns juristisch, indem wir eine Verfassungsbeschwerde unterstützen. Diese begleiten wir politisch mit einer neuen Kampagne. In der Pressekonferenz werden berichten:
Hakki Simsek, FKK Artemis in Berlin: „Alles richtig gemacht?“
Seyran Ates, Rechtsanwältin: „Feminismus und Sexarbeit. Geht das?“
Dr. Margarete Gräfin von Galen, Rechtsanwältin: „Abschied von der Typisierung?“
Bianca Wach, Zimmervermietung Rose in Berlin: „So ist das.“
Stephanie Klee, BSD: „Wir klagen an.“
Wir laden Sie ein zur Pressekonferenz ins FKK Artemis, Halenseestraße 32 – 36, 10711 Berlin – gern auch Online. Zur besseren Planung und zur Übersendung des Zoom-Zugangs bitten wir Sie um eine kurze Rückmeldung unter: info@bsd-ev.info.
Viele fragen sich: was ist der BSD? Wer ist der BSD? Wofür steht der BSD?
BSD ist die Abkürzung für Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen. Er ist ein eingetragener Verein, der gegründet wurde am 25. 03. 2002, also kurz nach dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes (ProstG) am 01. Jan. 2002.
Er wurde von 8 InhaberInnen bordellartiger Betriebe und selbständigen Prostituierten in Berlin gegründet und tritt ähnlich den Zusammenschlüssen in anderen Branchen (z. B. die der Anwälte, von Taxiunternehmen, Hotels oder der Stromwirtschaft) für die Interessen seiner Mitglieder ein. Die sind BordellbetreiberInnen, Sexarbeiter*innen und Fördermitglieder.
SEXARBEIT Prostituiertenschutzgesetz: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
2017 ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Vertreter_innen von Fachverbänden, Berater_innen und vor allem Sexarbeiter_innen selbst warnten vor den Folgen – wir ziehen Zwischenbilanz.
Von Nora Belghaus
Es hat für viel Furore gesorgt, und auch heute bricht die Kritik am Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) nicht ab. Am 1. Juli 2017 ist es in Kraft getreten.
Prostituiertenschutzgesetz: Begrüßenswerte Ziele, doch kaum jemand profitiert
Das Ziel, so die Bundesregierung: das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Prostituierten stärken, verträgliche Arbeitsbedingungen schaffen, Gefahren und Risiken in der Prostitution zurückdrängen und Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung bekämpfen.
Sicher begrüßenswerte Ziele, für alle Sexarbeiter_innen. Doch schnell wurde klar, dass mit den gewählten Mitteln kaum jemand vom erhofften Schutz profitieren würde…… mehr