Anzahl der Sexarbeiter*innen in Deutschland

Anzahl der Sexarbeiter*innen in Deutschland

Zahlen sind Schall und Rauch.

400.000 Sexarbeiter*innen – 200.000 Sexarbeiter*innen – 90.000 Sexarbeiter*innen – oder nur: 40.400 Sexarbeiter*innen? Oder noch weniger?

“Zahlen sind Schall und Rauch.”, “Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.” … heißt es hier und da.

Wie verhält es sich also mit der immer wieder genannten Zahl von angeblich 400.000 Sexarbeiter*innen, die in Deutschland tätig sein sollen? Woher kommt sie? Seit wann wird die Zahl veröffentlicht? Ist ihr zu trauen? Was steckt hinter der Zahl?

EMMA, die Zeitschrift von Alice Schwarzer, die sich nach anfänglichen, unterstützenden Berichten über eine engagierte Prostitutionsbewegung im Laufe der Jahre zur “schreibenden Speerspitze gegen die Prostitution an sich” entwickelte, scheint verantwortlich zu sein für diese Zahl. Im großen Bericht “Huren auf den Barrikaden” wurde in der Ausgabe Februar 1986 berichtet: “Nach offiziellen Schätzungen arbeiten 200.000 Frauen in der Bundesrepublik als Prostituierte. Die Dunkelziffer ist meistens doppelt so hoch.”

Wer diese “offizielle Schätzung” vorgenommen hat, wird allerdings verschwiegen.

7 Monate später sind dann aus den Schätzungen schon Tatsachen bei EMMA geworden und die Zahl von 400.000 Prostituierten steht erstmals geschrieben. “In der Bundesrepublik arbeiten 400.000 Prostituierte, legal und illegal – mindestens!”

Diese Zahl von 400.000 Sexarbeiter*innen geistert seitdem durch sämtliche Publikationen und ist sogar in Gesetzesbegründungen zu finden, obwohl sie sich

  • 1986 auf das alte Westdeutschland bezog.
  • Seitdem konnten wir auf die Wiedervereinigung 1990 Ost- und Westdeutschlands erleben
  • und blicken auch auf die EU-Osterweiterung 2004 und 2007 mit vielen neuen KollegInnen aus diesen Ländern.

Doch die Zahl 400.000 Sexarbeiter*innen bleibt seit 1986 beharrlich konstant.

Warum? Kluge Statistiker*innen hätten sie doch längst anpassen können.

Aber es lässt sich mit dieser Zahl viel besser Politik machen:
Wow! … 400.000 Sexarbeiter*innen. Da muss man doch was machen! (Als wenn man für 50.000 oder 100.000 Sexarbeiter*innen nichts machen müsste.)

Aber was will man machen?

  • Prostitutionsgegner*innen erklären alle 400.000 Sexarbeiter*innen, oder fast alle, zu Opfern. Die muss man retten!
  • Prostitutionsbefürworter*innen wollen gleiche Rechte für alle Sexarbeiter*innen, wie sie für andere Erwerbstätigen gelten, durchsetzen und Diskriminierungen abbauen. Dafür gilt die Zahl 400.000 dann als nicht belegt.

Das neue Prostituiertenschutzgesetz (gilt seit dem 01. Juli 2017) könnte erstmals realistische Zahlen liefern. Das ist vielleicht das einzig positive an diesem Gesetz! Denn jede Sexarbeiter*in muss sich danach bei einer Behörde anmelden bzw. registrieren lassen. Also liegen dann irgendwann einmal echte Zahlen vor.?

Wenn nicht jetzt schon klar wäre, dass sich viele Sexarbeiter*innen nicht registrieren lassen können oder wollen. Wir werden es also – so oder so – weiterhin mit einer Dunkelziffer zu tun haben. Davon ist auch von den ersten Zahlen auszugehen, die das Statistische Bundesamt – Stand 31.12.2018 – meldete: 32.799.

Die Zahlen Stand 31.12.2019:

– gemeldete 40.400 Sexarbeiter*innen und
– 2.170 gültige Erlaubnisse für Prostitutionsgewerben.

Die Zahlen Stand Ende 2020
Das Statistische Bundesamt meldete am 01.07.2021 neue Zahlen:
rund 24 900 Prostituierte bei Behörden angemeldet – Weniger angemeldete Prostituierte im Corona-Jahr 2020.
– für 2 290 Prostitutionsgewerbe lag eine erteilte oder vorläufige Erlaubnis nach dem ProstSchG vor.

Was lernen wir daraus?
Lasst uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren: die Rechte von Sexarbeiter*innen – und zwar von allen!

Neueste Presserecherche von Wibke Becker in der FAZ vom 18. 06. 2023:

FAZ-Artikel-18.06.23-Zahlen-in-der-Sexarbeit

25. November 2015 – überarbeiteter Refentenentwurf zum ProstSchG weiterhin mangelhaft

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend legte einen überarbeiteten Referentenentwurf zum sog. Prostituiertenschutzgesetz vor. Kleine Korrekturen wurden insbesondere bei der „Registrierung und der gesundheitlichen Beratung“ von SexarbeiterInnen vorgenommen.
Auch dieser Schritt zeigt, wie wenig sich die Regierungskoalition in dieser Sache einig ist und nach und nach – wegen der Un-Rechtmäßigkeit des Gesetzes – nachbessern muss.

05. August 2015 – Unterschriftenaktion gegen die Registrierung von SexarbeiterInnen

Die geplante Gesetzgebung muss gestoppt werden!

Ein Bestandteil des viel diskutierten Prostituiertenschutzgesetzes soll eine Registrierung aller SexarbeiterInnen bei einer Behörde sein. Und zwar alle 2 Jahre.
SexarbeiterInnen, die zwischen 18 und 21 Jahre alt sind, sollen sich jedes Jahr registrieren lassen.
Dafür müssen sie ein Ausweisdokument vorlegen, also ihren Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Meldeanschrift angeben.
Diese Registrierung soll in jeder Stadt vorgenommen werden, wo sie arbeiten will.

Ebenfalls ist geplant, dass sich davor jede SexarbeiterIn bei der Gesundheitsbehörde beraten lassen muss. SexarbeiterInnen zwischen 18 und 21 Jahren, sollen dies 1/2 jährlich tun.

Zusätzlich soll „herausgefunden“ werden, ob die SexarbeiterIn über „die zum eigenen Schutz erforderliche Einsicht“ verfügt.

Alles wird dann in einem Dokument festgehalten, quasi in einem Hurenpass, den die Sexarbeiterin immer bei der Arbeit bei sich tragen muss. Der kann kontrolliert werden z. B. von der Polizei und anderen Behörden.
Ohne dieses Dokument soll sie nicht in einem Bordell und auch nicht selbständig arbeiten dürfen.

Diese geplante Regelung ist diskriminierend und in keinem anderen Beruf zu finden. Er stellt eine totale Überwachung dar. Außerdem ist er getragen von dem Gedanken, dass alle in der Prostitutionsbranche Kriminelle sind oder Opfer, die keine selbstständigen Entscheidungen treffen dürfen/können und keine selbst agierenden Menschen sind.

Der BSD hat im Verbund mit HYDRA e. V. und dem besd e. V. zu einer Unterschriftenaktion aufgerufen:

Füllt die Boykottlisten aus, sammelt Unterschriften von SexarbeiterInnen und sendet alles bis Ende August zu Hydra (Adresse steht auf den Listen). Die Unterschriften werden dann rechtzeitig in Berlin übergeben. Wir brauchen so viele wie irgendwie möglich….

registierungsprotest.pdf [150 KB]

Schlagwort: Gesetz