05. 05. 2020 – Offener Brief: Antwort an Frau Sandra Norak und Frau Dr. Ingeborg Kraus auf deren Schreiben vom 15. 04. 2020 “Forderung nach Leitlinien zum einheitlichen Vorgehen bezüglich Prostitution angesichts der Corona-Epidemie in Deutschland“
Sehr geehrte Frau Norak, sehr geehrte Frau Dr. Kraus,
Ihr obiges Schreiben hat uns nicht wirklich erstaunt, denn es entspricht der bereits von Huschke Mau vor Jahren praktizierten Methode, Sexarbeiter*innen, Aktivist*innen und ihre Verbände nicht direkt anzusprechen, nicht den direkten Dialog zu führen, sondern zu versuchen, diese in öffentlichen Schreiben zu diskreditieren, sie für sinnige und unsinnige gesellschaftliche Umstände und Missstände generell verantwortlich zu machen und sie quasi hinterrücks anzugreifen.
Ich[1] hätte mir tatsächlich ein Gespräch, ein Treffen oder irgendeinen Dialog gewünscht. Aber offensichtlich wollen Sie das nicht, weil sie glauben, mich zu kennen, ohne mich je kennen gelernt zu haben.[2]
Diese arrogante, herablassende, unwürdige Art kann ich nur ablehnen. Mit Sicherheit bin ich schon länger im „Geschäft“ als Sie und verfüge ohne Zweifel über mehr Erfahrungen und Knowhow. Alle Sexarbeiter*innen[3] kann man nicht über einen Kamm scheren, wie auch nicht alle BordellbetreiberInnen und alle Kund*innen. Aber klar: für Sie ist hier eine Schwarz-Weiß-Malerei einfacher, um Ihr Ziel, die Einführung eines Sexkaufverbots, durchzusetzen.
Ich kenne die verschiedensten Bordelle in Deutschland von unzähligen Besuchen, habe viele Seminare für Sexarbeiter*innen, Kunden und BordellbetreiberInnen durchgeführt, wozu auch die profiS-Professionalisierungs-Workshops gehören. Dazu zählen auch Besuche für Auditierungen, die als Grundlage für das BSD-Gütesiegel dienen.
Auch wenn Sie das immer wieder behaupten, so wird es damit doch nicht wahrer:
- nicht alle Sexarbeiter*innen sind Opfer,
- nicht alle BordellbetreiberInnen sind Ausbeuter oder Kriminelle und
- nicht alle KundInnen sind Täter.
Im Gegenteil:
- die meisten Sexarbeiter*innen arbeiten selbstständig und selbstbewusst und bestätigen das auch so,
- die meisten BordellbetreiberInnen führen ihre Läden korrekt und fair, halten sämtliche Gesetze ein und bieten den Sexarbeiter*innen einen ungeheuren Schutz für ein sicheres Arbeiten,
- die meisten Kunden und Kundinnen sind liebenswerte Menschen, halt unsere Ehepartner, der Bruder oder Vater, der Nachbar, der Polizist, der Bäcker oder der Therapeut. Sie haben gute und schlechte Seiten, wie wir alle.
Das Leben und die Menschen sind einfach vielschichtiger und lassen sich nicht so leicht in Schubladen stecken:
Zitat: „In meinem Wohnungsbordell arbeiten 10 verschiedene Frauen. Während ich mir für die einen tatsächlich einen anderen Arbeitsplatz als den in der Prostitution wünschen würde, weil sie zwar das viele Geld verdienen wollen und nicht putzen gehen würden, aber aus der ungeheuren Verantwortung zu ihren Familien gern herauskämen, könnten die anderen ein bisschen mehr empathisch und weniger „geschäftsmäßig“ den Kunden gegenüber treten.
Diese unterschiedlichen Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen und Chaotika zu händeln, bedarf viel Fingerspitzengefühl, Verständnis, Empathie, aber auch Organisationstalent, Managementqualitäten und klare Regeln.“
Zitat: „Mir tut unsere Kollegin Melanie wirklich leid. Sie ist so fleißig und verdient auch gutes Geld. Aber der Ehemann nimmt ihr alles ab. Letztens ist sie sogar mit einem blauen Auge zur Arbeit gekommen. Aber wie oft habe ich ihr schon gesagt, dass sie sich von ihm trennen soll. Dass sie in ein Frauenhaus gehen kann. Und dass sie ihn bei der Polizei anzeigen kann. Aber das will sie nicht. Dafür ist sie vielleicht im Moment noch nicht bereit. Das dauert. Wie auch bei vielen geschlagenen Ehefrauen. Auch für die ist eine Trennung schwierig und lässt sich nicht mal eben so leicht umsetzen.
Für mich wäre das überhaupt nicht vorstellbar. Ich verdiene in der Sexarbeit das Geld, dass ich für meinen Lebensunterhalt und den meines Sohnes brauche. Ich mache den Job gern und kann mir keinen anderen vorstellen. Im Laufe der Jahre habe ich viel gelernt. Ich weiß, wie ich mit den Kunden umgehen muss, kenne meine Grenzen und setze die auch durch. Inzwischen mache ich auch meine Werbung allein und sogar die Steuererklärung.“
Dass Sie die Corona-Krise nutzen, um ein Sexkaufverbot für Deutschland zu fordern, ist nicht nur schändlich, sondern zeigt auch, welche Ziele Sie tatsächlich vertreten:
- alle Bordelle sind geschlossen worden,
- BordellbetreiberInnen und Sexarbeiter*innen hatten von jetzt auf gleich keine Einnahmen mehr und können ihre Familien ggf. auch nicht mehr unterstützen,
- viele Sexarbeiter*innen mussten von jetzt auf gleich die Bordelle verlassen und haben damit auch die Wohnung, quasi das Dach über dem Kopf verloren.
Wie allen anderen in der Corona-Krise so geht es auch uns der Sexarbeits-Branche: wir alle stehen vor dem Nichts und kämpfen ums Überleben.
Dass Sie in dieser Situation nicht als erstes an die Sexarbeiter*innen denken, die Hilfe brauchen (bei der Beantragung von Zuschüssen, bei der Beantragung von Grundsicherung, bei der Suche nach einer Wohnung und nach Geld für den Lebensunterhalt, weil sie durch die Raster der staatlichen Sozialleistungen fallen), zeigt wes Geistes Kind Sie sind. Ihnen geht es nicht um die „armen“ Sexarbeiter*innen, sondern um Ihre Moral, Ihre Werte und Ihre Macht.
Aber Sexarbeiter*innen, BordellbetreiberInnen und Kunden haben die gleichen Rechte wie Sie. Es zeichnet eine pluralistische, demokratische Gesellschaft aus, tolerant zu sein und verschiedene Lebensentwürfe nebeneinander zu akzeptieren. Die Einführung der „Freierbestrafung“ oder die Forderung nach einem Sexkaufverbot oder einem generellen Prostitutionsverbot verstößt zudem gegen unser Grundgesetz. Art 1 und 2 GG garantiert die Würde des Menschen. Dazu gehört die Entscheidung eines jeden einzelnen, über seine Sexualität selbst entscheiden zu können. Konsequenterweise schließt dies den Sex gegen Geld (oder andere Gegenleistungen) mit ein. Art. 12 GG garantiert die Freiheit der Berufswahl, also auch die Entscheidung für die Arbeit als Sexarbeiterin.
Diese Grundrechte würden verletzt, käme es zu dem umfassenden sog. Sexkaufverbot. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, die Menschenwürde sei dort verletzt, wo der Mensch seiner Subjektsqualität beraubt und quasi zum Objekt staatlichen Handelns degradiert würde. Zumindest in der ‚Argumentation der Befürworter eines Sexkaufverbotes` werden Sexarbeiterinnen – ohne Unterschied – zu willenlosen traumatisierten Opfern degradiert, die mehr oder weniger nicht zu eigenen selbstbestimmten Entscheidungen in Bezug auf ihre Sexualität fähig sein und auch gegen ihren Willen geschützt werden müssten. Diese Viktimisierung ist zutiefst diskriminierend und Ausdruck eines menschenverachtenden, frauenfeindlichen und bigotten Weltbildes – und macht eben alle Sexarbeiter*innen zum Objekt! Man fühlt sich an den Umgang mit HIV-Infizierten oder die Abtreibungsdebatte der frühen siebziger Jahre erinnert.
Im Übrigen werden die obengenannten Grund- und Freiheitsrechten für Sexarbeiter*innen schon durch das Prostituiertenschutzgesetz, das Strafrecht und das Bau- und Steuerrecht über Gebühr reglementiert, was vielerorts einem Betätigungsverbot gerade durch diverse Sperrgebietsverordnungen gleichkommt.
Wir achten unser Grundgesetz und bestehen auf die Einhaltung der globalen Menschenrechten.
Ja, wir vertreten einen rechtebasierten Ansatz und sehen keinen Sinn darin, eine Entweder-Oder-Diskussion zu führen: für oder gegen Prostitution. Wir setzen uns für beides ein:
- gleiche Rechte für alle Menschen in der Prostitution und deren Stärkung, ja auch Professionalisierung und
- Engagement gegen Ausbeutung, Gewalt und Zwang.
- Das beinhaltet natürlich, die Welt globaler zu sehen; zu sehen, dass Sexarbeiter*innen aus anderen Ländern aus purer Not zu uns nach Deutschland kommen, wo ihnen eine Arbeit in den meisten anderen Branchen verwehrt wird, sie die Voraussetzungen dafür nicht mitbringen oder sich mit einem geringeren Verdienst zufrieden geben müssten. Wir erleben ein Nord-Süd-Gefälle in Europa, ungleiche Verhältnisse und Arbeitsbedingungen, aber auch geringere Löhne, wovon wir hier in Deutschland profitieren.
- Das bedeutet aber auch zu verstehen, warum Frauen sich nicht so leicht aus Patriarchalen- und Gewaltverhältnissen lösen können, sie oft sehr lange an dem gewalttätigen (Ehe-) Mann festhalten und dann doch keine ausreichende Unterstützung und Unterkunft in Frauenhäusern finden. Da sind Sexarbeiter*innen nicht anders als andere Frauen!
- Das setzt aber auch voraus, dass unser staatliches Sozialsystem verändert gehört, dass Sexarbeiter*innen nicht durch alle Raster fallen, dass das gesellschaftliche Stigma sie nicht am Ausstieg hindert und dass es endlich ausreichend alternative Berufe mit ausreichendem Einkommen und geringen Hürden gibt für Sexarbeiter*innen, die umsteigen wollen von der Prostitution – mit der Anerkennung ihrer in der Sexarbeit erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen – in andere Berufe.
Ja, das Leben und die Menschen passen nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken. Da machen Sie es sich zu einfach. Retten Sie doch all die Sexarbeiter*innen, die von ihnen gerettet werden wollen und lassen sie alle anderen Sexarbeiter*innen ihren Weg in der Prostitution gehen!
Sexualität ist ein Menschenrecht und wird durch unser Grundgesetz als Teil der Persönlichkeitsrechte geschützt. Das Ausleben von Sexualität – im weitesten Sinne des Wortes gehören dazu Nähe, Zuwendung, Berührung, Einfühlungsvermögen, Kommunikation, Respekt, Anerkennung und Akzeptanz, Empathie und Lebensfreude, Entspannung, das Ausleben besonderer Phantasien in sämtlichen sexuellen Spielarten – wird ausdrücklich von Medizinern, Psychologen, Neurologen und Sexualtherapeuten befürwortet, denn
- Sexualität hat einen therapeutischen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen, das Immunsystem wird aktiviert, Abwehrkräfte werden gebildet und Herzkrankheiten werden verhindert. Sex stählt den Körper und den Geist!
- Sexualität hält schlank, fit, jung und macht schön.
- pure Freude wird empfangen und gegeben, womit physische oder psychische Bedürfnisse erfüllt werden.
- Sexualität stellt eine Ressource dar, auf die jeder Mensch bewusst zurückgreifen kann, aber nicht muss.
Sexualität kann ausgelebt werden in einer monogamen Partnerschaft, in lockeren Beziehungen, in One-Nights-Stands, mit mehreren Personen oder eben in der Prostitution gegen Geld. Sexarbeit steht gleichberechtigt mit allen anderen Formen des menschlichen Liebeslebens.
Besonders zu Zeiten von Corona mit seinen enormen sozialen Einschränkungen und Isolationen zeigt sich die Bedeutung von fehlender Nähe unter Freunden und Angehörigen, die sich nicht treffen dürfen. Deren Folgen auf die Gesundheit wird folgerichtig öffentlich bemängelt. Umso wichtiger sind hier vorsichtige Lockerungen mit entsprechenden Hygienekonzepten und die schrittweise Öffnung der Bordelle und die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen der Prostitution. In den jetzigen Krisenzeiten zeigt sich die Bedeutung von Sexarbeit als systemrelevante Tätigkeit. Ist die dänische Gesundheitsbehörde klüger, wenn sie jetzt ausdrücklich zu Sex rät – inklusive Sex von Singles über tinder?[4]
Aus Ihrem Brief möchten wir auf folgende Punkte eingehen:
- „Deutschland ist mit seinem Prostitutionsgesetz von 2002 zum Bordell Europas geworden“. Dieses ständig wiederholte Bild ist völliger Quatsch, entspricht nicht den Realitäten, sondern will nur dämonisieren. Die Anzahl der Bordelle hat seit 2002 nicht zugenommen, auch nicht die Anzahl der Sexarbeiter*innen[5]. Deutsche Bordelle werden keineswegs von unseren europäischen Nachbarn verstärkt aufgesucht – sondern nach wie vor von den in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden Männern und Frauen.
Allerdings hat das Prostitutionsgesetz von 2002 endlich rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, wonach Sexarbeiter*innen einen einklagbaren Anspruch auf ihren Lohn gegenüber dem Kunden haben und Bordelle wie andere Gewerbetreibende agieren können, ohne befürchten zu müssen, aus moralischen Gründen geschlossen zu werden.
Das haben wir immer als einen Erfolg gewertet und konnten nicht einsehen, dass alle in der Branche zwar Steuern zahlen mussten, aber keine Rechte haben sollten.
Wir haben allerdings auch immer eine Erweiterung des ProstG gefordert und hier entsprechende Gesetzesvorschläge erarbeitet und der Politik unterbreitet (https://bsd-ev.info/publikationen/).
- von „menschenunwürdigen Verhältnissen“ in der Prostitution zu sprechen zeigt, wie wenig Sie die tatsächlichen Arbeitsbedingungen besonders in den Bordellen und deren Räumlichkeiten kennen. Jedes Bordell zeichnet ein bestimmtes Konzept und ein darauf ausgerichtetes Ambiente aus. Kein Bordell ist mit dem anderen vergleichbar – außer dass dort immer sexuelle Dienstleistungen angeboten werden. Aber sowohl die Sexarbeiter*innen als auch die Kunden orientieren sich daran und entscheiden sich aufgrund der eigenen Berufsorientierung oder der jeweiligen Wünsche mal für eine Bar, einen Club, eine Wohnung, eine fkk-Wellnessoase oder ein Eroszentrum. Manche Bordelle entsprechen von der Einrichtung und dem Flair einem 5-Sterne-Hotel, andere eher einer Pension.
Die meisten Bordelle achten wegen des eigenen Standards sowohl auf Hygiene, Schutz, faire Arbeitsregeln und halten sich strikt an die strafrechtlichen Rahmenbedingungen und unternehmen alles, um Gewalt,
Ausbeutung, Zwang und Menschenhandel zu unterbinden, allein weil dies das AUS für die unternehmerische Tätigkeit bedeuten würde. Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), in Kraft getreten am 01. Juli 2017, hat
hier weitere Kriterien geschaffen, die auch von den Behörden und der Polizei genau überprüft werden.
Wir bestreiten aber auch nicht, dass es in der Prostitution (wie z. B. in der Landwirtschaft oder den
Pflegeeinrichtungen) „Schwarze Schafe“ gibt. Dafür sind wir jedoch nicht verantwortlich. Und es ist die
Aufgabe des Staates, diese nach dem Buchstaben des Gesetzes zu verfolgen und zu bestrafen.
- „Frauen (wurden) oft 10 bis 20 Mal am Tag von Freiern sexuell missbraucht ……….“ Auch mit dieser Behauptung betreiben Sie „Schwarz-Weiß-Malerei“. Wir stimmen Ihnen zu, dass manche Frauen dies so empfinden und auch so beschreiben und auch so erlebt haben. Nach unserem Verständnis darf man aber hier nicht von Sexarbeiter*innen sprechen. Sexarbeit beinhaltet ein gleichberechtigtes, auf freiwilliger Basis vereinbartes Geschäftsverhältnis, gegen Geld, über eine sexuelle Dienstleistung. Wenn dies nicht gegeben ist, ist es keine Sexarbeit, sondern eine strafbar Handlung, wozu es vielfältige Paragraphen in unserem Strafgesetzbuch gibt (§ 177 Sexueller Übergriff, Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, etc., § 180 a Ausbeutung von Prostituierten, § 181 a Zuhälterei, § 232 Menschenhandel, § 232 a Zwangsprostitution, § 232 b Zwangsarbeit, § 233 Ausbeutung der Arbeitskraft, etc., § 240 Nötigung). Die gehören angewandt.
Uns wundert an diesem Punkt allerdings Ihr nur negatives Bild von Kunden. Kunden sind keine besondere
Spezies von einem anderen Stern. Sie sind Ihre Ehemänner, Väter……….wir wollen uns nicht wiederholen. Sie sind gute und schlechte Menschen, mal mehr mal weniger. Aber auf jeden Fall entspricht es nicht
unserem Bild von Kunden, die in der Regel angenehm, höflich, sauber, respektvoll, dankbar und großzügig sind. Vor allen Dingen sind sie diejenigen, die Sexarbeiter*innen, die gezwungenermaßen in der Prostitution tätig sind, oft unterstützen, den Kontakt zur Polizei und den Beratungsstellen herstellen und auch Anzeigen erstatten.
- „Prostitutionsverbände wie der BSD, ………..haben …………erfolgreich ein falsches Bild der Prostitution vermittelt.“
Uns unsere Kompetenz absprechen zu wollen, ist lächerlich und entlarvt Sie selbst. Unser Verband besteht
seit 2002. Auch schon vor unserer Gründung haben wir uns für unsere Branche, für Transparenz, für unsere Rechte und die Weiterentwicklung des Gewerbes und natürlich auch gegen Gewalt, Zwang, Ausbeutung und Kriminalität eingesetzt.
Immer haben wir uns um einen vielschichten Blick auf die Branche bemüht: als Sexarbeiter*innen in den verschiedenen Segmenten und den unterschiedlichsten Motivationen, als BetreiberIn im eigenen Bordell, im Kontakt mit den Behörden und der Politik und deren gesetzlichen und politischen Interessen, aber auch bei internen Professionalisierungsworkshops (www.move-ev.org/profis). Wir sind fest davon überzeugt, dass man Frauen (wie alle anderen Menschen) unterstützen muss, sie in die Lage versetzen muss, dass sie ihre Rechte kennen, Gesetze verstehen und ihre Rechte auch durchsetzen können: gegenüber anderen
Kolleg*innen, gegenüber dem Betreiber/der Betreiberin, gegenüber dem Kunden, gegenüber dem (Ehe-) Mann und der Familie, aber auch gegenüber Personen und Organisationen, die ihnen ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung absprechen und sie pauschal zu Opfern erklären.
- Ja und auch die Situation am Straßenstrich ist nicht so einfach mal nur als negativ zu bezeichnen. „Stephanie Klee vom BSD…………..frohlockend in einem grünen Drachenkostüm an einen Straßenstrich für ein „Aufklärungsvideo“, wie sie es bezeichnet, und spricht davon, was für ein toller Arbeitsplatz …………“ Ja, auf dem Straßenstrich arbeiten Sexarbeiter*innen für sich, für ihre Freunde, für ihre Familien, die nirgendwo sonst eine Arbeit finden würden. Hier arbeiten Sexarbeiter*innen, die ihre Drogen mit ehrlicher Prostitution verdienen und nicht klauen wollen. Hier arbeiten Sexarbeiter*innen mal für eine kurze Zeit, wenn sie schnell Geld benötigen (für den Schulranzen ihrer Kinder, die Mietnachzahlung oder den anstehenden Geburtstag oder die Ferien) und dadurch unkompliziert eine finanzielle Notlage selbst und aktiv in den Griff kriegen wollen. Ja, hier arbeiten auch Sexarbeiter*innen völlig autonom, selbstständig und ausschließlich für ihren eigenen Lebensunterhalt – ohne Kosten und ohne Arbeitszeiten und Regeln in einem Bordell beachten zu müssen. Jede Sexarbeiter*in hat ihre eigene Motivation und Geschichte. Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren.
Ja, wir legen großen Wert auf solche Aufklärungsvideos, weil wir das Leben nicht nur immer bierernst nehmen wollen, weil wir um die Grenzen von langen Statements, Briefen und Publikationen wissen und weil wir breit und vielschichtig aufklären und informieren wollen. - „Die Politik hat über Jahre hinweg den Menschen zugehört und geglaubt, die die Prostitution glorifiziert haben.“ Diese Behauptung ist Quatsch: wir haben nie die Prostitution glorifiziert. Wir wissen von den Schattenseiten und helfen in jedem uns begegnenden Einzelfall. Was ihnen die Polizei und viele Sexarbeiter*innen auch bestätigen werden. Aber das hängen wir nicht an die große Glocke, denn es betrifft das Leben der einzelnen Sexarbeiter*in, die natürlich auch darüber die Hoheit behalten soll, was sie öffentlich macht, wozu sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert und welche Hilfen sie in Anspruch nehmen will.
Und natürlich haben wir uns seit der Schließung der Bordelle wegen Corona dafür eingesetzt, dass
Sexarbeiter*innen, die von den Zuschüssen des Staates, und von der Grundsicherung ausgeschlossen werden, anderweitige unbürokratische Unterstützung bekommen, was der Staat abgelehnt hat. So unterstützen die
einzelnen BordellbetreiberInnen die Sexarbeiter*innen, die keine Wohnung haben, und lassen sie in der Bordellen weiterhin wohnen und geben ihnen auch finanzielle Hilfe (https://bsd-ev.info/forderungen-fuer- sexarbeiterinnen-in-not/) und bestücken auch die unterschiedlichen, von der Branche selbst eingerichteten Hilfefonds.
- „Es ist keine wahre Hilfe, prostituierte Frauen während Corona in den Bordellen unter zu bringen, wie es jetzt offiziell vom Bundesfamilienministerium möglich gemacht wurde……… schwerwiegende Abhängigkeiten ……. usf. Wir verwehren uns gegen diesen ungeheuerlichen Vorwurf. Aber wundern tut uns dies nicht, passt er doch in Ihr „Schwarz-Weiß“-Bild: da die Sexarbeiter*innen als Opfer und dort die BordellbetreiberInnen als Täter. Allein die Tatsache, dass die meisten Sexarbeiter*innen über Jahre einen guten Kontakt zu einem Bordellbetreiber halten, immer wieder anfragen, ob sie in deren Bordellen arbeiten können und ein leichtes hätten, bei der ständigen Präsenz von Polizei, Gesundheitsamt und Beratungsstelle um Hilfe zu bitten und eine Anzeige zu erstatten, zeigt wie wenig Sie bereit sind, die Prostitutionsbranche und ihre Menschen differenziert zu sehen und sie auch als handelnde, als selbstbewusste Menschen zu akzeptieren.
Bei den strukturellen Ungerechtigkeiten, den strukturellen Problemen der Sozialversicherung, den fehlenden Unterstützungen für Sexarbeiter*innen würden wir uns von Ihnen mehr Engagement wünschen und könnten uns auch vorstellen, dass wir an dieser gemeinsamen Schnittstelle gemeinsam agieren könnten.!?
- Wir stehen für Rechte für Sexarbeiter*innen, BordellbetreiberInnen und Kunden, besonders für die sexuellen Rechte.
- Wir fordern Respekt und die völlige Gleichbehandlung mit anderen Erwerbstätigen und Gewerbetreibenden.
- Wir fordern die völlige Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution und Streichung allen diskriminierenden Gesetze.
- Wir treten ein gegen ein Sexkaufverbot, gegen eine sog. Freierbestrafung, gegen das Nordische oder Schwedische Modell.
- Wir fordern die baldige Öffnung der Bordelle unter abgestimmten Hygienekonzepten – ähnlich den Restaurants und der Hotellerie, den Frisören und Massageinstituten und natürlich sämtliche staatliche Unterstützung, wie andere Gewerbetreibende und Unternehmen sie auch bekommen. Denn wir haben mit unseren Steuern ebenso die Corona-Rettungsschirme und Zuschüsse mitfinanziert, die jetzt allen zugutekommen und dem Staat ermöglichen, einen Ausgleich zu schaffen. (Übrigens auch die von ihnen „vertretenen Frauen“ durch die meist vom Staat geforderte Pauschalsteuer und die allgemeine Mehrwertsteuer.)
- Wir verwehren uns gegen jede generelle Pathologisierung, Entmündigung und Viktimisierung. Die Weisheit haben Sie nicht allein gepachtet! Ihr „Wahrheitsanspruch“ entlarvt Sie selbst.
In einem Rechtsstaat haben auch Sexarbeiter*innen und BordellbetreiberInnen Rechte, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht!
Mit freundlichen Grüßen
Simone Goretzki Stephanie Klee Elke Winkelmann
Studien und Erfahrungen zeigen: Eine Kriminalisierung von Sexarbeit schützt Prostituierte nicht vor Zwang, sondern führt zu mehr Gesundheitsrisiken, Gewalt und prekären Lebensverhältnissen. Mit unserer Haltung sehen wir uns im breitem Verbund mit:
- BSD-Position zum Sexkaufverbot: https://bsd-ev.info/sexkaufverbot/
- Sonja Dolinsek: Menschenhandel heute: https://menschenhandelheute.net/2014/07/01/prostitution-und-menschenhandel-1-die-wahrheit-uber-das-nordische-und-schwedische-modell/?fbclid=IwAR3rqQTH2nzVHVdIjlqfIiZKOQVq7YNFAg_XwHv_iXMuZN3inJbZLVEiJk8
mit umfangreichen Quellenangaben
· Ellison, Graham; Ni Dhonaill, Caoimhe; Erin Early (15. 10.2019): A Review of the Criminalisation of
the Payment for Sexual Services in Northern Ireland: https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3456633
- Stellungnahme deutscher Organisationen gegen das Sexkaufverbot(11/2019) (Deutsche Aidshilfe, Deutscher Frauenrat e.V., Deutscher Juristinnenbund e.V., Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel, contra e.V. Kiel – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein)
- Positionspapier des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Thema Prostitution und Sexkaufverbot (Oktober 2019)
- Monika Frommel (2019): https://www.novo-argumente.com/artikel/nordischer_maternalismus_breitet_sich_aus
- Amnesty International für die Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern (08/2015) – siehe auch Video
- Stellungnahme des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V.: https://berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2019/09/11/stellungnahme-zu-sexkaufverbot-vorschlag-in-deutschland-freierbestrafung-gefaehrdet-die-sicherheit-von-tausenden-sexarbeiterinnen/?fbclid=IwAR3XXUCW7WIPvbhg32foZArf0QL7S7ghPkB3G6fnwR7vg2z4JIM9Wp93guA
- Blogbeitrag von Josefa Nereus auf ihrem Channel „Wissen. Macht. Sex!“: Freierbestrafung – Warum das Schwedisches Modell keine Lösung ist.
[1] Bei der Benutzung der 1. Person Singular spreche ich ausdrücklich für mich, Stephanie Klee, weil Sie mich auch persönlich angesprochen haben.
[2] Diesem Irrglauben unterliegen viele sog. „Experten“. Sie erlauben sich generell ein Urteil über Sexarbeiter*innen, ohne diese zu kennen.
[3] Ich lege großen Wert darauf, hier männliche und Trans-Sexarbeiter*innen mitzudenken
[4] https://www.stern.de/gesundheit/daenische-gesundheitsbehoerde-sagt-ja-zu-sex-waehrend-der-corona-pandemie—auch-fuer-singles-9233392.html?utm_campaign&utm_source=facebook&utm_medium=mweb_sharing&fbclid=IwAR1_TNZIMhJP29IraTtM4O_R8F_Xb6b5105n9UKxMLo928B–MAGViVxy_g
[5] Zum Sinn und Unsinn der kursierenden Zahlen und deren historischen Entstehung: https://bsd-ev.info/anzahl-der-sexarbeiterinnen-in-deutschland/
Download des Offenen Briefes Sexkaufverbot – Antwort an….