Ganz Europa ist im Fußballfieber, wir zeigen uns in Deutschland als fantastische Gastgeber und genießen die Vielfalt von Menschen. Die Partylaune scheint uns alle Sorgen und alltäglichen Herausforderungen vergessen zu lassen – selbst Corona verliert seine letzten Schatten.
Auch Sexarbeiter*innen, Bordellbetreiber*innen und Kund*innen sind fußballbegeistert, präsentieren sich wie alle anderen als die besten Trainer*innen und reden und trinken kräftig mit. Und alle stellen sich die Frage: wird Deutschland Fußball – Europameister 2024?
Nur in den Bordellen herrscht Langeweile.
Klar, was anderes hatten wir auch nicht erwartet – nach den Erfahrungen, die wir mit der Fußball-WM 2006 schon gemacht hatten: Fußballfans sind im Stadion, auf der Fanmeile, in der Kneipe, im Wohnzimmer oder Garten und zwar zusammen mit der Familie, mit Freuden, im Verein und: mit Oma und Opa und den Kindern. Wie soll sich da ein einzelner Mann fortschleichen und sich im Bordell amüsieren? Auch kostet der Fußball mehr als sich mancher eigentlich leisten kann. Da bleibt dann kein Geld mehr übrig für den Puffbesuch.
So sind die Prostitutionsstätten zum Teil leer, Sexarbeiter*innen haben ihre Termine abgesagt und sitzen auch lieber auf der Fanmeile und feiern mit als erfolglos auf Kunden in der Puffküche zu warten – oder machen gleich Urlaub. Eine Umfrage bei unseren Mitgliedern deutschlandweit hat bestätigt:
Es herrscht „tote Hose“ im Bordell!
Dabei könnte alles so schön sein, wenn nicht wieder Prostitutionsgegner*innen wie Leni Breymaier/SPD, Dorothee Bär/CSU und andere auch dieses Ereignis nutzen[1], um „den Teufel an die Wand zu malen“ und Fakenews zu verbreiten – obwohl sie es anders wissen!
Wie schon bei der Fußball-WM 2006 behaupten sie, wegen dieses Großereignisses würden unzählige „Zwangsprostituierte“ aus dem Ausland nach Deutschland verbracht, um gegen ihren Willen den Fußballfans sexuelle Dienstleistungen anzubieten.
Schon 2006 wurde behauptet, dass 40.000 „Zwangsprostituierte“ nach Deutschland gebracht würden. Grundlage für diese Zahl war die damals schon nur geschätzte Anzahl von 400.000 Sexarbeiter*innen. In einem Vorbereitungstreffen wurden einfach 10 % davon zugrunde gelegt[2] – für eine breite Hysterie, eine abscheuliche Denunziation der gesamten Sexarbeitsbranche, für unzählige sinnlose Kampagnen (z. B. die sog. Lochkampagne) und erfolglose Bordellrazzien. Selbst das BKA räumte ein, dass sie keine „Zwangsprostituierte“ gefunden haben.
Man fragt sich: wem nützen solche falschen Meldungen? Offensichtlich nur dem Machtkalkül bestimmter Politiker*innen. Denn für die, die sie vorgeben schützen zu wollen, nützt es nichts. Was Sexarbeiter*innen brauchen ist Respekt, Rechte und eine gewisse Professionalisierung. Die braucht es in jedem Beruf – für jede Frau. Jede muss stark sein, um sich gegen Gewalt und Zwang wehren zu können. Dieses Empowerment braucht es in der Ehe/in der Partnerschaft, in jedem Beruf und auf der Straße.
Sexarbeiter*innen sind es auch Leid, ungefragt „gerettet“ und immer wieder zum Opfer stilisiert zu werden. Jede Frau will frei entscheiden können, wie sie ihr Leben einrichtet und welchen Weg sie jeweils einschlägt – das trifft auch auf Sexarbeiter*innen zu.
Lasst uns die Fußball-Europameisterschaft genießen und sie nicht als Plattform für andere Dinge benutzen!
[1] https://www.merkur.de/deutschland/baer-fussball-sexarbeit-prostitution-zwangsprostitution-em-nimmt-zu-leni-breymaier-dorothee-zr-93126593.html.
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-spur-der-40-000-prostituierten-ein-geruecht-und-sein-100.html