Sehr geehrte Frau Breymaier, Frau Winkelmeier-Becker, Frau Leikert, Frau Widmann-Mauz, Frau Tillmann, Frau Flachsbarth, Frau Heil und Frau Magwas,
sehr geehrte Herren Gröhe, Lauterbach, Heinrich, Fechner, Ullrich, Brand, Patzelt, Henrichmann,
Sie haben sich in Ihrem Brief an die 16 MinisterpräsidentenInnen mit der Forderung gewandt, den derzeitigen Corona-Lockdown und die dadurch bedingte Schließung aller Prostitutionsstätten für die generelle Einführung eines Sexkaufverbots zu nutzen.
Mal davon abgesehen, dass nirgendwo ein Sexkaufverbot Sexarbeiter*innen Schutz gebracht oder den Bedarf an Prostitution reduziert hätte, und Sie die Corona-Notlage von Sexarbeiter*innen für ihre rückwärtsgewandte, moralinsaure, herabwürdigende und respektlose, um Aufmerksamkeit heischende Politik nutzen wollen, setzen Sie mit Ihrer Behauptung eine Lüge in die Welt, die durch nichts bewiesen ist.
„Prostitution (habe) die epidemiologische Wirkung eines Super-Spreaders: Social Distancing ist i.d.R. mit sexuellen Handlungen nicht vereinbar.“ „Das liege auf der Hand.“
Woher kommt diese Erkenntnis? Wie viele Bordelle haben Sie besucht? Sind Sie Kenner der Prostitution? Verfügen Sie über eigene Erfahrungen?
Offensichtlich nicht! Denn DIE Prostitution gibt es nicht. Wie es auch nicht DIE Sexarbeiter*in gibt.
Wir sind eine enorm vielfältige Branche, ähnlich der Hotellerie: es gibt kleine Apartments, wo nur eine Sexarbeiter*in arbeitet, oder Wohnungsbordelle, Studios, Bars, Laufhäuser oder Wellnessoasen. Prostitutionsstätten sind mal große – mal kleine Betriebe.
Einige bieten nur sexuelle Dienstleistungen an:
– hinter verschlossenen Türen,
– in einem 1 : 1 Verhältnis = 1 Sexarbeiter*in und 1 Kunde.
…. ähnlich dem Masseur oder der Kosmetikerin.
Andere haben auch ein gastronomisches Angebot, verkaufen z. B. Getränke, wie eine Gaststätte oder zeigen Filme. Aber Orgien, Enge wie in einer Diskothek oder beim Konzert oder Begeisterung wie auf dem Fußballfeld sind da eindeutig die Ausnahme.
Warum sollten Sexarbeiter*innen, Kunden und BordellbetreiberInnen die Corona-Schutzmaßnahmen nicht einhalten können? Halten Sie diese für dümmer als den Rest der Gesellschaft?
Im Gegenteil: Sexarbeiter*innen haben per se ein großes Interesse an Hygiene und ihrer Gesundheit, denn die ist ihr Kapital. Auch sind sie schon immer geübt unter Beachtung von Schutzmaßnahmen zu arbeiten und nutzen z. B. Kondome gegen sexuell übertragbare Erkrankungen (STI`s und HIV) und führen einen Gesundheitscheque durch.
Natürlich haben wir, wie andere Branchen auch, ein entsprechendes Hygiene-Konzept erarbeitet und der Politik vorgelegt (https://bsd-ev.info/corona-hygienekonzept/), denn uns liegt die Gesundheit aller Menschen sehr am Herzen.
Den Begriff des „Super-Spreaders“ in diesem Zusammenhang zu benutzen ist nicht nur extrem beleidigend, sondern auch falsch. Offensichtlich wollen Sie eine gesamte Branche diskreditieren, um Ihr eigentliches Ziel, das Sexkaufverbot, durchzusetzen.
Leider erinnert diese Diffamierung und diese falsche Behauptung an eine längst hinter uns geglaubte Zeit, an den Beginn der AIDS-Hysterie, wo u. a. auch Sexarbeiter*innen unter dem Vorwurf zu leiden hatten, sie würden diese sexuelle übertragbare Infektion weitergeben. In der Folgezeit stellte sich dann heraus, dass sie weniger damit konfrontiert waren und kaum Infektionszahlen aufwiesen als die Allgemeinbevölkerung. Der Grund ist natürlich darin zu sehen, dass Sexarbeiter*innen allein aus Eigeninteresse schon immer wussten, wie sie sich selbst und ihre Kunden schützen können.
Schon immer hat man versucht, die Verantwortung – für die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung – den Sexarbeiter*innen zuzuschieben. Wobei folgende Perspektiven fehlen: woher bekommen Sexarbeiter*innen die Infektion? Und wieso sind sie allein dafür verantwortlich?
Es ist immer leicht, die Schuld auf jemand anderen zu schieben.
Eine weitere Schließung der Bordelle und ein Verbot der Prostitution sind durch nichts gerechtfertigt – im Gegenteil: es muss auch der Prostitutionsbranche ermöglicht werden, wieder Einnahmen zu generieren und den Kunden einen guten Service zu bieten, der menschlich, stabilisierend und für sie insbesondere in Corona-Zeiten existenziell ist.
Wenn Sie in Ihrer Haltung noch nicht festgefahren und offen für andere Erfahrungen sind, laden wir Sie – nach der Corona-Öffnung – gern zu einem Bordellbesuch ein. Sie können sich einen Eindruck über die Abläufe in den verschiedenen Segmenten verschaffen und mit Sexarbeiter*innen in den Dialog treten.
Anmerkungen zu den falschen Zahlen: https://bsd-ev.info/anzahl-der-sexarbeiterinnen-in-deutschland/
Unsere Position zum Sexkaufverbot: https://bsd-ev.info/sexkaufverbot/
Mit freundlichen Grüßen
Download Brief an 16 MdB
Presseberichterstattung:
https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/nachrichten/kritik-an-initiative-gegen-prostitution-42162.html
https://www.diehumanisten.de/2020/05/27/schutz-statt-stigma-fuer-selbstbestimmte-sexarbeit/
https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/empoerend-mdbs-nutzen-wirren-der-corona-krise
19.05.2020 – Die Linke.queer empört über Vorstoß zum Verbot von Sexarbeit: https://www.queer.de/detail.php?article_id=36160
https://www.watson.de/leben/interview/434026183-prostituierte-schiesst-gegen-karl-lauterbach-schon-frueher-problem-mit-uns-gehabt?fbclid=IwAR1hJbXS0rwYGQ_4fRbxy7hnubq6ix8ucr34hqHBDK69m5YMKv8WxFUM0rk