Am 14.09.2023 stimmten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über den Entschließungs-Bericht „Regulierung der Prostitution in der EU (ihre grenzüberschreitenden Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte der Frau, 2022/2139 (INI)“ ab, der die EU-Staaten auffordern sollte, u. a. Freier und Profiteuer von Prostitution zu bestrafen, bzw. das „Nordische Modell“ europaweit einzuführen.
Dies war ein erneuter Versuch der Sexkaufgegner*innen, in weiteren europäischen Staaten, auch in Deutschland, das sogenannte Nordische Modell einzuführen. Aber dieser Versuch scheiterte. Denn es stimmten
234 der Abgeordneten mit JA,
aber
175 mit NEIN und
122 ENTHALTUNGEN.
Die Mehrheit (175 + 122 = 297) ist also deutlich dagegen!
Dabei wurde aus der Entschließung der Teil gestrichen, der die Einführung des EU-weiten nordischen Modells forderte.
Sexarbeiter*innen, ihre Organisationen und viele weitere hatten dagegen protestiert, wie z. B. Amnesty International, Human Rights Watch, UN-Organisationen wie UNAIDS, UNFPA und UNDP und Weltgesundheitsorganisationen. In einem Offenen Brief (mit vielen Argumenten) hatten sie unter anderem geschrieben:
„Die Kriminalisierung jeglicher Aspekte der Sexarbeit, die in diesem Bericht vorgeschlagen wird, schützt nicht die Rechte von Frauen und anderen, die aus vielfältigen Gründen in der Sexarbeit tätig sind, und trägt nicht dazu bei, das sehr ernste Problem des Menschenhandels und der Zwangsarbeit anzugehen. Nur durch die Annahme eines menschenrechtsbasierten Ansatzes, die Entkriminalisierung aller Aspekte der Sexarbeit und die sinnvolle Einbeziehung von Sexarbeiter*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen von Sexarbeiter*innen in die Entscheidungsfindung können Menschen, die Sex verkaufen, einschließlich Opfer sexueller Ausbeutung, geschützt und schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Menschen, die Sexerfahrungen verkaufen, angegangen werden.“
Aus dem Pressebericht von Eswa (European sex worker rights alliance) nach der Abstimmung:
„Das sogenannte nordische Modell basiert auf der Überzeugung, dass jede Sexarbeit Gewalt gegen Frauen ist. Ziel ist es, unsere Kunden und jeden, der von Prostitution profitiert, zu kriminalisieren – zum Beispiel Vermieter, die uns Räumlichkeiten mieten, oder Sexarbeiter, die aus Sicherheitsgründen zusammenarbeiten“ erklärte Sanchez. „Dieses Modell korreliert konsequent mit der Zunahme von Gewalt gegen Sexarbeiterinnen.“
Es ist doch immer wieder bemerkenswert, mit welchen Mitteln die Sexkaufgegner*innen ihre moralischen Vorstellungen versuchen umzusetzen – auf Kosten der Rechte von Sexarbeiter*innen, Kund*innen und Bordellbetreiber*innen und letztendlich auf Kosten einer toleranten, freien und rechtebasierten Gesellschaft – natürlich ohne mit den Sexarbeiter*innen zu sprechen und sie mitentscheiden zu lassen!
Unser Mitglied Erobella, ein erotisches Online-Portal im deutschsprachigen Raum, gab eine repräsentative Umfrage in Auftrag. Sie ließ durch
das Marktforschungsinstitut Splendid
in der Zeit vom 24. – 31. August 2022
1.009 Menschen im Alter von 18 – 69 befragen:
Wie denken sie über Prostitution?
Wie bewerten sie die Situation von Sexarbeiter*innen?
Soll Sexarbeit vielleicht sogar verboten werden?
Die Ergebnisse überraschen nicht, aber widersprechen deutlich den ständig wiederholten Behauptungen von Gegner*innen der Sexarbeit:
Für 77 % der Befragten gehört Sexarbeit zur Gesellschaft.
14 % der Befragten – also jeder Siebte – gab an, schon einmal selbst die erotischen Dienstleistungen einer Sexarbeiter*in oder Domina in Anspruch genommen zu haben.
Insgesamt wird die Entwicklung in der Sexarbeiter-Branche in Deutschland als positiv bewertet. So meinen 35 %, dass sich die Situation der Sexarbeiter*innen in den letzten Jahren verbessert habe und 42 % stimmen dem Satz “Sexarbeiter*innen sind heute besser vor Ausbeutung und Gewalt geschützt als früher” zu.
Die Einführung des sog. “Nordischen Modells” wird mit 56 % klar abgelehnt.
Prostitutionsgegner*innen, wozu zunehmend Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU und SPD gehören, behaupten, dass ein sog. Sexkauf-Verbot Menschenhandel in die Prostitution sowie Ausbeutung und Gewalt in der Prostitution verhindern würde. Ab 15. Oktober 2019 arbeitet dazu sogar ein parlamentarischer Arbeitskreis „Prostitution – wohin?“ im Bundestag. Dabei beziehen sie sich auf die angeblichen Erfahrungen mit dem schon seit 20 Jahren bestehenden sog. Schwedischen Modell.
Ja, in Schweden (und anderen Ländern) ist der „Kauf von sexuellen Dienstleistungen“ verboten. Die Kunden werden mit einem Bußgeld oder Gefängnis bestraft und ggf. werden der Arbeitgeber und die Ehefrau per Brief informiert. Sexarbeiter*innen dagegen werden nicht bestraft.
Die Folge dieser Regelungen ist, dass es keine geschützten Arbeitsplätze für Sexarbeiter*innen mehr gibt. Sie gehen Risiken ein, sie müssen sich mit Kunden an dunklen Ecken treffen, denn sie wollen und können den Job nicht aufgeben. Die Arbeit ist extrem unsicher, stressig und auch gefährlich geworden. Natürlich gibt es keine Alternativangebote für Sexarbeiter*innen, die aussteigen wollen.
Das Schwedische Modell hat eine Wolke des Schweigens über die Menschen ausgebreitet. Nur unter vorgehaltener Hand sind sie bereit, offen ihre Meinung zur Sexarbeit zu äußern.
Schauen wir uns solch ein Verbot mal aus einer anderen Perspektive an:
Bzgl. der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie (oder den Saisonarbeiten in der Landwirtschaft) schrecken immer mal wieder Medienberichterstattungen die breite Öffentlichkeit auf. Dann heißt es z. B: „katastrophale Arbeitsbedingungen, unhygienische Verhältnisse, unzureichende Arbeitskleidung, miese Bezahlung und sogar Betrug gegenüber dem Sozialstaat, weil keine Sozialabgaben abgeführt werden, sondern über Subunternehmen selbstständige Erwerbstätigkeiten unterstellt werden, etc. Schnell wird dann der Bogen zur Klima-Frage geschlagen, denn zu viel Fleischverzehr führe zur Belastung der Böden und zu Monokulturen, weil die Tiere mit Soja gefüttert werden müssen, etc.
Aber niemand käme auf die Idee, die Fleischindustrie oder das Fleisch essen an sich zu verbieten. Selbstverständlich werden Rahmenbedingungen festgelegt und die Einhaltung von Gesetzen gefordert. Und diese wird dann vom Staat überprüft.
Nur in der Sexindustrie wollen die Prostitutionsgegner*innen die Zwangskeule schwingen. Als wenn das den Sexarbeiter*innen überhaupt was Positives bringen würde!
Vor allem müssen einmal folgende Fragen gestellt werden: Würde die Bekämpfung des Menschenhandels an sich nicht die effektivere und gezieltere Herangehensweise sein, wenn man Menschenhandel bekämpfen will? Wäre es nicht sinnvoll, die Mafia, Clans und dahinterstehenden Organisationen zu bekämpfen und deren Strukturen und Infrastruktur zu zerschlagen, anstatt ein Teil der Menschen die deren Opfer sind zu stigmatisieren und deren Leben zu erschweren, ja sogar vielen von ihnen die Existenzgrundlage zu entziehen – die Opfer noch mehr zu Opfern zu machen, anstatt ihnen zu helfen?
Wir sagen: Only rights can stop the wrongs!
Vielfältige Studien bestätigen die Unsinnigkeit dieses Schwedischen Modells, das manches Mal auch Nordisches Modell genannt wird.
Pressespiegel zum Thema „Sexkaufverbot“.
Wir empfehlen auch zur weiteren Lektüre – die Liste wird kontinuierlich ergänzt:
Ein interessanter Beitrag auf dem Verfassungsblog von Teresa Katharina Harrer vom 17.11.2023: „Der alte Wunsch nach einfachen Lösungen
Die Unionsfraktion fordert ein Sexkaufverbot – doch gut gemeint ist manchmal unterkomplex“
2022 kam eine vom Irischen Justizministerium finanzierten Studie der Universität Limerick zu dem Ergebnis, dass die Einführung des Nordischen Modells die Prostituierten der Gefahr der Willkür und Misshandlung durch die Strafverfolgungsbehörden aus. So hätten 20 % der Prostituierten in der Studie berichtet, dass sie von Polizeibeamten sexuell ausgebeutet worden seien. Die Betreiber einer App, mit der Prostituierte gegen sie begangene Straftaten melden können, berichteten, dass sich die Anzahl der gemeldeten Straftaten nach der Kriminalisierung um 90 % erhöht habe.
02.03.2021 – Entschließungsantrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/die Grünen gegen ein Sexkaufverbot und nach einer Anhörung von Experten im Ausschuss: NRW Entschließungsantrag 02.03.2021
24. Juni 2020 – Offener Brief des BufaS e.V. zum Sexkaufverbot
Der bufas e.V. ist ein Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter.
Stellungnahme deutscher Organisationen gegen das Sexkaufverbot (11/2019) (Deutsche Aidshilfe, Deutscher Frauenrat e.V., Deutscher Juristinnenbund e.V., Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., Dortmunder Mitternachtsmission e.V. – Beratungsstelle für Prostituierte, Ehemalige und Opfer von Menschenhandel, contra e.V. Kiel – Fachstelle gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein)