2. Juni – Internationaler Hurentag 2023

2. Juni – Internationaler Hurentag 2023

Kampf um gleiche Rechte!

Jedes Jahr erinnern Sexarbeiter*innen an die spektakuläre Kirchenbesetzung der französischen Kolleg*innen 1975 in Lyon/Frankreich (https://bsd-ev.info/internationaler-hurentag-2-juni/) und machen in Aktionen und Demonstrationen auf die immer noch fehlende Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen aufmerksam.

Die Coronapandemie hat besonders deutlich gemacht, wie unfair der Staat beim Thema Sexarbeit handelte: Prostitution war z. T. verboten und die Bordelle waren länger geschlossen als andere Branchen. Es entstand z. T. große Not und Abhängigkeiten.
Bis heute hat sich die Branche nicht von diesen Benachteiligungen erholt.

Hinzu gekommen sind die Folgen des Krieges in der Ukraine, die Energiekrise und die allgemeine Inflation.

Die Evaluierung des seit 2017 gültigen ProstituiertenSchutzGesetzes (ProstSchG) sollte eine Chance sein, endlich fundierte und überprüfbare Fakten und Daten zu bekommen – weg von Fehlinformationen, Klischees, Vorurteilen und von konservativen Werten geprägte Forderungen (https://bsd-ev.info/evaluation-des-prostschg/).

Sexarbeit ist Arbeit!

Es besteht hier dringender Änderungsbedarf!

  • Die regelmäßige gesundheitliche Pflicht-Beratung und Registrierung von Sexarbeiter*innen (z. T. ½ + jährlich) gehört abgeschafft.
  • Mindestanforderungen für die Prostitutionsstätten müssen je nach Größe und der Art des Betriebes gestaffelt werden.
  • Streichung der Baunutzungsgenehmigung für alle Altbetriebe, die vor dem 01. Juli 2017 bestanden, und Änderung der BauGesetze – weg von der typisierenden hin zu einer Einzelfall-Betrachtung.

Sexarbeitsrechte sind Menschenrechte!

Elke Winkelmann: 0151  44 36 44 33                                             Stephanie Klee: 0174 91 99 246

Bundesverwaltungsgericht hat Recht gesprochen: die Baubehörde muss bei bestimmten Prostitutionsstätten im Mischgebiet eine Einzelfallprüfung vornehmen!

Bundesverwaltungsgericht hat Recht gesprochen: die Baubehörde muss bei bestimmten Prostitutionsstätten im Mischgebiet eine Einzelfallprüfung vornehmen!

Lange wurde darum gerungen. Unendlich viele Stellungnahmen wurden geschrieben. Und viele Gerichtsverfahren wurden durchgeführt. Jetzt wurde ein wichtiger Teil-Erfolg erzielt!

In der Vergangenheit wurden viele prostitutive Einrichtungen geschlossen (ein Begriff, den das Verwaltungsgericht Berlin einführte; mit dem ProstSchG heißen alle Bordelle, egal wie unterschiedlich sie sind: Prostitutionsstätten), weil die Baubehörden – mit Bezug auf Einzelfallurteile und meist auch nur in einem Eilverfahren ergangen – immer wieder behaupteten, dass ALLE Bordelle, egal wo sie liegen und egal wie sie agieren/wie ihr Betriebskonzept aussieht, einhergehen mit milieubedingten Begleiterscheinungen. Diese seien störend für die Wohnumgebung und deshalb müsse das Bordell geschlossen werden (oder dürfe erst gar nicht eröffnen).

Viele Bordelle haben sich mit dieser Pauschalierung rumschlagen und leidvolle Erfahrungen machen müssen. Sie kamen kaum an gegen die festgefahrenen Auffassungen der Baubehörden und der Gerichte. Gegen die sog. Typisierung schien kein Kraut gewachsen. Obwohl die Realitäten für „Wohnungsbordelle“ meist anders aussehen:
– in der Regel sind sie von außen nicht als solche zu erkennen, z. B. durch Leuchtreklame,
– sie legen großen Wert auf Anonymität (die der Kunden und die der Sexarbeiter*innen),
– es gibt keinen Lärm durch Gruppen und/oder an- und abfahrende Autos,
– es liegen keine Kondome oder anderer Müll im Flur,
– Alkohol wird nicht ausgeschenkt und
– meist handelt es sich um einen Tagesbetrieb, der max. bis 22.00 Uhr geöffnet ist.

Ein Berliner Wohnungsbordell hatte schon im November 2022 mit der Rechtsanwältin Margarete von Galen nach einem langen Gerichtsmarathon vom Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen (BVerwG, Urteil vom 09.11.2021 – 4 C 5.20 – [ECLI:DE:BVerwG:2021:091121U4C5.20.0]). Nun liegt die ausführliche Begründung vor. Die Sache wurde zwar an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen, dieses muss aber jetzt – weg von der typisierenden Betrachtung (alle Bordelle werden über einen Kamm geschoren) – neu entscheiden und zwar in diesem konkreten Einzelfall. Dabei müssen dann die Örtlichkeit (das Haus, die anderen Bewohner, die z. T. auch Gewerbetreibende sind, die Straße, etc.), das Betriebskonzept und die tatsächlichen Begebenheiten berücksichtigt werden.

Die Leitsätze des Bundesverwaltungsgerichts sind entscheidend und werden großen Einfluss haben auf viele anhängige Gerichtsverfahren:

1. An der Beurteilung prostitutiver Betriebe auf der Grundlage der eingeschränkten Typisierungslehre haben weder das Prostitutionsgesetz noch das Prostituiertenschutzgesetz etwas geändert.

2. Das Störpotenzial eines sog. Wohnungsbordells im Mischgebiet nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1962 lässt sich nicht typisierend erfassen. Es bedarf vielmehr einer Einzelfallprüfung.

Ja, wir müssen abwarten auf die neue Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg.
Ja, danach muss jeder Einzelfall geprüft werden.

Aber:
Endlich haben wir es schriftlich: die ständigen pauschalen „Verurteilungen“ der Prostitutionsbranche als störende, lärmende, unflätige, gefährliche, gewalttätige, kriminelle und sittlich-moralisch verwerfliche Branche in den unterschiedlichen Gesetzen (Baunutzungsrecht, Sperrgebietsverordnung, etc.) und durch die Behörden geht dem Ende entgegen.
Denn dieses entscheidende Urteil muss natürlich auch gelten für Prostitutionsstätten in Wohngebieten.

https://www.bverwg.de/091121U4C5.20.0

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Recht muss sich den veränderten Gegebenheiten anpassen!

Recht muss sich den veränderten Gegebenheiten anpassen!

Seit Jahrzehnten schwebt das Damoklesschwert „Baurecht“ über den Bordellen. In unzähligen Gerichtsverfahren wurde immer wieder pauschal (= typisierend) und ohne Würdigung des betroffenen Einzelfalles entscheiden:

  • Bordelle stören – besonders in Wohn- und Mischgebieten,
  • Bordelle gehen einher mit „milieubedingten Begleiterscheinungen“ (u. a. Störungen, Alkohol, Lärm, Kriminalität),
  • Bordellen haften ein sog. Trading-down-Effekt an

und deshalb dürfen sie nicht in Wohn- und Mischgebieten angesiedelt werden, sondern max. in Industrie- und Gewerbegebieten.

Weil das Bau- und Baunutzungsrecht weder Bordelle, Prostitutionsstätten oder ähnliches nennt (allerdings z. B. Tankstellen, Hotels, Gewerbe des täglichen Bedarfs), setzte sich in der Verwaltung die Rechtsauffassung durch, dass

  • eine typisierende Betrachtungsweise beibehalten werden müsse und
  • dass die häufig in Eilverfahren ergangenen negativen Gerichtsentscheidungen für die baurechtlichen Schließungsverfügungen zugrunde gelegt werden müssten.

Bordellbetreiber*innen scheuten oft lange, emotionale und im Ausgang ungewisse Gerichtsprozesse und knickten ein bzw. sie waren allein wegen der Kosten dazu nicht in der Lage. Als Verband haben wir vielmals dazu Stellung genommen und unsere Mitglieder auch in Gerichtsprozessen aktiv unterstützt.

Ein Berliner Bordell gab nicht auf und erzielte mit der Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Margarete von Galen vor dem Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig einen enormen Sieg:

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09. 11. 2021: „Zulässigkeit eines sog. Wohnungsbordells in einem Mischgebiet

Berliner Morgenpost vom 10. 11. 2021: „Berliner Mieterin darf „Wohnungsbordell“ betreiben

Das Landesverwaltungsgericht muss sich der Sache jetzt erneut annehmen und hat die individuelle Situation des Bordells zu berücksichtigen – weg von der typisierenden Betrachtung. Das Verfahren ist also noch nicht zu Ende. Wir drücken weiter die Daumen.

Doch einmal mehr ist deutlich geworden: das Bau-, Baunutzungsrecht muss endlich verändert und den tatsächlichen Verhältnissen in der Branche angepasst werden. Das ist eine schöne Aufgabe für die zukünftige Bundesregierung!

 

Schlagwort: Baurecht