Niederschmetterndes Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte

Unser Freund, Flavio Lenz, Delegierter der Brasilianischen Sexarbeiter*innen, berichtete uns von der Internationalen Aids-Konferenz in München. Dort fand heute eine Internationale Pressekonferenz wegen des erschütternden Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte statt. 261 Sexarbeiter*innen, Kunden und NGO’s hatten hier gegen das französische „Sexkaufverbot“ geklagt, das Kunden, die sex. Dienstleistungen nachfragen, bestraft werden – Sexarbeiter*innen nicht.

Aber natürlich sind sie von dem Gesetz auch betroffen: wo sollen sie ihre Kunden noch treffen, wenn die sich nur noch an obskure Orte treffen wollen wegen der befürchteten Bestrafung?

Leider ist das Gericht den Ausführungen der betroffenen Gruppen nicht gefolgt und hat der franz. Regierung bescheinigt, rechtens gehandelt zu haben. Allerdings mit dem Zusatz: die Regierung müsse aber auch ihren Spielraum zum Schutz der Sexarbeiter*innen nutzen (Die Frage ist hier: mit welchen Maßnahmen und Alternativen?).

(Die Situation in Frankreich ist nicht 100%ig mit der in Deutschland zu vergleichen: dort war Sexarbeit nie legal und so umfassend reguliert wie hier in Deutschland. Und vor allen waren dort Bordelle nicht akzeptiert.) Die genaue Urteilsverkündung werden wir abwarten und genau analysieren müssen. Auf jeden Fall ist es ein trauriger Tag für die Internationale Sexarbeit und die Rechte der Betroffenen.

Flavio: „This frustrating decision of the European Court was the theme of a Press Conference yesterday in the Sex Worker Networking Zone, during the International Aids Conference, in München. I was there, reporting for Brazil the reaction of sex workers from France, Europe and other countries, since the fight for decriminalization is global – be it decrim of clients, of sex work itself (still in many countries, like USA) or of the brothel managers or owners.  

Besides sex workers, the conference had the participation of the UN Special Rapporteur on the Right to Health, Dr. Tialeng Mokofeng. She was also very frustrated about the decision, once there are many evidences that the criminalization of clientes creates more vulnerabilities for sex workers: the decreasing number of clients makes them have more power to negotiate unsafe sex, for example; income has decreased, also due less clients and more concurrence; more exposition to violence due to working in more isolated places, and much more. Check here the study made in France: https://www.nswp.org/sites/nswp.org/files/en_synthesis_sw_final_2_0.pdf

Now sex workers have 3 months to decide if they will appeal the decision to the Grand Chamber

A luta continua – The fight goes on – Der Kampf geht weiter.“

Übersetzung mit google:
"Diese frustrierende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs war gestern das Thema einer Pressekonferenz in der Sex Worker Networking Zone während der Internationalen Aids-Konferenz in München. Ich war dort und habe für Brasilien über die Reaktion von Sexarbeiter*innen aus Frankreich, Europa und anderen Ländern berichtet, da der Kampf für die Entkriminalisierung global ist – sei es die Entkriminalisierung von Kunden, die Sexarbeit selbst (immer noch in vielen Ländern, wie den USA) oder die Bordellmanager oder Bordellbesitzer.
An der Konferenz nahm neben Sexarbeiterinnen auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit, Dr. Tialeng Mokofeng, teil. Sie war auch sehr frustriert über die Entscheidung, da es viele Beweise dafür gibt, dass die Kriminalisierung von Klienten die Verwundbarkeit von Sexarbeiterinnen erhöht: Durch die sinkende Zahl von Klienten haben sie beispielsweise mehr Macht, über unsicheren Sex zu verhandeln; Das Einkommen ist gesunken, auch aufgrund weniger Kunden und mehr Zustimmung; höhere Gewaltexposition aufgrund der Arbeit an isolierteren Orten und vieles mehr. Sehen Sie sich hier die in Frankreich erstellte Studie an: https://www.nswp.org/sites/nswp.org/files/en_synthesize_sw_final_2_0.pdf
Jetzt haben Sexarbeiterinnen drei Monate Zeit, um zu entscheiden, ob sie gegen die Entscheidung Berufung bei der Großen Kammer einlegen.
Der Kampf geht weiter!"

Übersetzung der ESWA Pressemitteilung mit google:

Heute am 25. Juli 2024, verkündete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil im Fall MA und anderen gegen Frankreich. Das Gericht kam zwar nicht zu dem Schluss, dass das französische Gesetz ausdrücklich gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, stellte aber fest, dass es sich der Schwierigkeiten und Risiken voll bewusst ist – unbestreitbar – denen Sexarbeiterinnen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind. Das Gericht hat offenbar dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kauf sexueller Dienstleistungen unter Strafe als Instrument zur Bekämpfung des Menschenhandels gestellt wird. Dies ist derzeit Gegenstand einer lebhaften Debatte, die sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene zutiefst umstritten ist.

„Mit diesem Urteil sind die Hände dieser Richter befleckt mit dem Blut von Menschen wie Vanessa Campos und Jessica Sarmiento, zwei peruanische Sexarbeiterinnen, die im Bois de Boulogne ermordet wurden und die von etwa insgesamt dreißig verstorbenen Sexarbeiterinnen seit dem Jahr 2016.
Das französische Gesetz wurde umgesetzt, was unsere Arbeit viel gefährlicher und kriminalisierter machte“, sagt Sabrina Sanchez, die Direktorin der European Sex Workers‘ Rights Alliance.
Der anhaltende Zusammenhang zwischen Ausbeutung, Gewalt gegen Frauen und Sexarbeit ist sehr groß, die Gesundheit und Sicherheit der Betroffenen zu gefährden. Staaten, die Kunden unter Strafe stellen, unter dem Vorwand Ausbeutung bekämpfen zu wollen, geht es in Wirklichkeit um die Bekämpfung von Sexarbeit, unabhängig von den Bedingungen unter dem es durchgeführt wird. Dabei gefährden sie die Gesundheit und Sicherheit der Personen und verletzen ihre Rechte auf persönliche Autonomie, sexuelle Freiheit und Freiheit ihren Beruf auszuüben.
„Alle Menschenrechte gelten auch für Sexarbeiterinnen. Sexarbeiterinnen müssen sich dazu nicht besonders verhalten, auch nicht ihre Menschenrechte verdienen. Sie haben bereits ihre Menschenrechte. Es ist speziell die patriarchalische Kontrolle der weiblichen Sexualität, insbesondere in Bezug auf Sexarbeiterinnen, die Raum für Menschen schafft zu denken, dass Autonomie außerhalb der Person liegen kann, sodass der Staat versuchen kann, sie zu kontrollieren“ sagt Dr. Tlaleng Mofokeng, UN-Sonderberichterstatter für das Recht jedes Einzelnen, Genuss als höchstmöglichen Standards an körperlicher und geistiger Gesundheit, in ihrem eingereichten Amicus-Curiae-Brief an das Gericht.
Eine weitere Menschenrechtsorganisation, die die Auswirkungen auf die Menschenrechte bei der Bestrafung des Sexkaufs klar zum Ausdruck gebracht hat, ist die UN-Arbeitsgruppe zur Diskriminierung der Frau und Mädchen im Jahr 2023 oder der Menschenrechtskommissar des Europarats im Februar diesen Jahres.
Im Dezember 2019 brachten mehr als 250 Sexarbeiterinnen, viele davon Migrantinnen und/oder Geschlechterminderheiten, ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um die Kriminalisierung der Kunden anzufechten; dies ist mit ihren Grundrechten nicht vereinbar: der Freiheit, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, Aktivität, das Recht auf persönliche Autonomie und sexuelle Freiheit sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben.
Eine Pressekonferenz, die von ESWA auf der Internationalen AIDS-Konferenz in München mit durchgeführt wurde, löste eine Welle der Empörung aus, des Engagements und der Solidarität gegenüber Sexarbeiterinnen und ihren Menschenrechts-Bewegungen.

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