05. Dezember 2019 – Runder Tisch „Prostitution“ Baden-Württemberg startet mit konstituierender Sitzung

Der Runde Tisch „Prostitution“ in Baden-Württemberg hat die Möglichkeit eines breiten Dialogs über Sexarbeit eröffnet, wenn auch deutlich von den konträren Positionen der verschiedensten TeilnehmerInnen gesprochen wurde. Der anschließende Fachtag unterstrich dann allerdings die politische Brisanz bei der Umsetzung des ProstSchG: in B-W will man auf eine Baunutzungsgenehmigung nicht verzichten, obwohl das zum Verlust von vielen guten und lang bewährten Arbeitsplätzen für Sexarbeiter*innen führen wird. Das interessiert dann – interessanterweise – diejenigen, die den Schutz von Sexarbeiter*innen so lautstark einfordern NICHT.
Es herrscht das Motto: eine gute Sexarbeiter*in ist nur die, die aussteigt. Alle Kunden gehören bestraft. Und BordellbetreiberInnen sind eh alle kriminell. Denen bleibt dann konsequenterweise nur der Weg zu den Gerichten.

dpa-Meldung:
Runder Tisch zur Prostitution nach scharfer Kritik an Gesetz
Von Martin Oversohl, dpa
Foto – Archiv

Eigentlich sollte das Gesetz Prostituierte schützen, aber die Betroffenen laufen dagegen Sturm. Anderen geht es nicht weit genug. An einem Runden Tisch in Stuttgart soll nun debattiert werden, wie das Prostituiertenschutzgesetz verbessert werden könnte.

Stuttgart (dpa/lsw) – Mit einem neuen Gesetz sollte der Arbeitsalltag von Prostituierten nicht nur in Baden-Württemberg verbessert werden. Etwas mehr als zwei Jahre ist das her. Gelungen ist das aber nicht wirklich, meinen Gegner des ältesten Gewerbes und Sexarbeiterinnen in ungewohntem Gleichklang. Die einen würden das Gesetz am liebsten ganz abschaffen, den Kauf von Sex verbieten und Kunden von Prostituierten bestrafen. Die anderen sehen ihren Beruf durch die neuen Vorschriften in Gefahr und werfen den Gesetzgebern vor, sie zu diskriminieren. Abgesehen davon seien die Amtsstuben nicht vorbereitet auf das, was da von ihnen verlangt werde.

An einem Runden Tisch will die grün-schwarze Landesregierung nun die Ausbeutung beim Sexkauf und auch das jüngste Gesetz thematisieren. Die Runde kam erstmals am Donnerstag in Stuttgart im Vorfeld eines Fachtages zusammen. Sie soll sich nach Angaben von Landessozialminister Manne Lucha (Grüne) in regelmäßigen Abständen treffen, um Erfahrungen auszutauschen.

Das umstrittene „Prostituiertenschutzgesetz“ sollte vor zweieinhalb Jahren vor allem rechtliche Rahmenbedingungen für die legale Prostitution schaffen. Es sieht unter anderem eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen vor. Die Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss und mit Namen, Adresse und einem Foto versehen ist, müssen die Prostituierten mit sich führen – und damit ihre Anonymität aufgeben. In der Szene wird die Bescheinigung deshalb „Hurenpass“ genannt.

Die meisten Behörden in Baden-Württemberg sind nach Ansicht des Bundesverbands Sexuelle Dienstleistungen noch lange nicht vorbereitet auf diese neuen Anforderungen. „Da gibt es Ämter, die sind noch gar nicht eingerichtet und wenn, dann nur für eine gesundheitliche Beratung“, sagt die Vorsitzende des Berliner Verbands, Stephanie Klee. Es fehlten Räume, Formulare und Stempel für die neuen Ausweise, es fehle aber vor allem auch Personal und Motivation.

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) räumt zwar etliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesetzes ein. Es sei zudem mühsam gewesen, qualifiziertes Personal zu finden und in den Behörden geeignete neue Strukturen aufzubauen. Allerdings hätten diese enormen Anstrengungen in vielen Behörden einen fast nahtlosen Übergang garantiert, als die Aufgaben im November 2017 vom Land an die Kommunen und Landratsämter übergegangen seien. Der Südwesten stehe bei der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes gut da, sagt Lucha.

Klee sieht das anders: „Einen Schutz oder Vorteile haben ausgerechnet diejenigen nicht, für die das Gesetz angeblich gemacht wurde“, kritisiert sie. „Die Stimmung in den Betrieben ist schlecht.“ Frauen böten ihre Dienste immer häufiger ohne Registrierung an, sie wichen auf Wohnungen aus oder auf Hotels. Im Internet seien sie anonymer unterwegs, dadurch aber auch angreifbarer und ausgelieferter. „Das Gesetz hat am gesellschaftlichen Stigma nichts verändert“, sagt Klee.

Während sie am Runden Tisch teilnimmt, wird Marietta Hageney dort keinen Platz finden. Ginge es nach der Leiterin der Aalener Beratungsstelle des Vereins Solwodi, müsste es strafbar sein, Frauen in Zwangslagen sexuell auszunutzen. Ihr Verein, der sich für Frauen in Not einsetzt, spricht sich für ein generelles „Sexkaufverbot“ aus. Die weitaus meisten Prostituierten stammten aus Osteuropa, sie seien gutgläubig oder naiv nach Deutschland gekommen und wüssten nun keinen Ausweg aus ihren Notlagen. Kaum eine Frau in ihrer Beratung kenne das Gesetz. Die deutschen Prostituierten hätten dagegen die Nischen besetzt und nähmen ihre Rechte weitgehend wahr.

Der Verein, der Deutschland auch als das „Bordell Europas“ bezeichnet, wirbt für das sogenannte Nordische Modell. Bei einer solchen Regelung machten sich Freier per se strafbar, sagt Hageney. Seit einigen Jahren schlössen sich nach Schweden, Island und Norwegen immer mehr europäische Länder an. Die liberale deutsche Praxis übersehe dagegen die prekären Zustände, die mit Prostitution oft einhergingen.

Genaue Zahlen zur Branche gibt es nicht. In Baden-Württemberg waren Ende 2018 knapp 3700 Prostituierte nach dem Gesetz offiziell angemeldet, deutschlandweit etwa 32 800, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat. Die Zahlen lassen Klee und Hageney nur müde lächeln. „Es gibt Schätzungen, dass 400 000 Frauen als Prostituierte arbeiten. Jeden Tag nehmen demnach 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleistungen in Anspruch“, meint Klee mit Blick auf Deutschland.

Mindestens jede zweite Sexarbeiterin hat nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums keine Altersabsicherung, nur jede dritte ist krankenversichert. Eine Bestandsaufnahme der Angebote der Gesundheitsämter aus dem Jahr 2018 ist da noch deutlicher: Demnach sind sogar zwei Drittel nicht abgesichert, 80 Prozent der Sexarbeiterinnen stammen aus dem Ausland.

Flyer zum Fachtag in Stuttgart: http://docs.dpaq.de/15615-programm_fachtag_prostschg.pdf

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