Wir haben gewählt!

Wir haben gewählt!

SPD, Grüne und FDP sondieren inzwischen eine mögliche Koalition. Damit versuchen sie, die Wahlergebnisse vom 26. September umzusetzen.

Wahlanalyse:
Neben der aktiven oder passiven Mitgliedschaft in einer der politischen Parteien, dem Engagement in einer Gruppe/einer außerparlamentarischen Bewegung, Aktionen und Demonstrationen für die eigenen Rechte oder die von anderen, ist die Wahl alle 4 Jahre für den Bundestag die direkteste Form der politischen Teilhabe und sollte daher auch selbstverständlich sein.

Für die Sexarbeitsbranche waren die Wahlen zum 20. deutschen Bundestag sicher besonders bedeutsam. Schließlich schwebte über den wichtigsten Parteien die dunkle Wolke des Prostitutionsverbotes. Hierzu waren die unterschiedlichsten Aussagen und Statements in den Wahlprogrammen zu lesen.

Wir haben zusätzlich 10 Parteien angefragt und von 6 Parteien mehr oder weniger aufschlüssige Antworten auf unsere Wahlprüfsteine erhalten.

  • Weder SPD, die Grünen oder FDP haben sich dabei für die Einführung eines Prostitutionsverbotes ausgesprochen.
  • Die SPD hat sich, wie auch schon zuvor, jedoch ein Hintertürchen offen gehalten: „Ein
    Sexkaufverbot lehnen wir derzeit ab.“
  • Die FDP hat sich erfrischend in ihrer grundsätzlich vertretenen freiheitlichen Haltung geäußert: „Wir Freie Demokraten sprechen uns für legale Prostitution aus, weil die persönliche Freiheit und
    damit die sexuel
    le Selbstbestimmung über den eigenen Körper für uns von zentraler Bedeutung sind.
    Dazu gehört auch die Möglichkeit zur freiwilligen Sexarbeit.
    Diese muss gemäß rechtsstaatlicher
    Vorgaben und in gesicherten Rahmenbedingungen möglich sein.“
  • Für eine Regierungsbeteiligung will die SPD auch prüfen,

– das Mindestalter für Sexarbeiter*innen auf 21 Jahren zu erhöhen,
– Prostitution in der Schwangerschaft grundsätzlich zu verbieten,
– die Evaluation des ProstituiertenSchutzGesetzes früher durchzuführen und
– dabei die Kunden*innen mehr in den Blickwinkel zu nehmen und
– die Strafrechtsnormen hierzu anzupassen z. B. bzgl. „Loverboys“ und
– Straßenprostitution soll stärker reguliert werden.

UND:
Die SPD hat sich für die Einrichtung eines Runden Tisches Prostitution auf Bundesebene ausgesprochen.

Bündnis90/die Grünen haben sich zurückhaltender geäußert. Sie wollen im Rahmen der Evaluation des
ProstSchG „die Arbeitsbedingungen in den Prostitutionsstätten verbessern“.

Die Aussagen und „Zukunftsversprechen“ sind bei allen nebulös; Konkretes fehlt gänzlich.

Interessant ist, dass diese drei Parteien angeben, enge Kontakte zur Branche zu unterhalten. Das können wir uns noch besser vorstellen!

Sexarbeiter*innen, Bordellbetreiber*innen und Kunden sind auch Wähler*innen! Was erwarten wir von der künftigen Regierung?

  • Die Einrichtung eines Runden Tisches „Prostitution“ auf Bundesebene – mit der Beteiligung aller relevanten Akteure (Sexarbeiter*innen, Bordellbetreiber*innen, ihre Verbände, Fachberatungsstellen der Prostitution + bufaS, Justizministerium, Arbeitsministerium, Wirtschaftsministerium, Innenministerium, Finanzministerium, Gesundheitsministerium und Frauenministerium) – sehen wir als einen ersten positiven Schritt.
  • Aufgabe sollte der Beginn eines Dialogs sein, die Lösung von konkreten Problemen (z. B. Krankenversicherung, Düsseldorfer Verfahren) und die Begleitung der Evaluation des ProstSchG, mit der klaren Abschaffung der diskriminierenden, engmaschigen gesundheitlichen Beratung und Registrierung von Sexarbeiter*innen und den erhöhten Anforderungen an Betreiber*innen von Prostitutionsstätten (= Gleichstellung mit anderen Gewerbetreibenden), etc.
  • Rechte, Abbau von Stigmata und Professionalisierung sollten endlich eine stärkere Berücksichtigung finden.
  • Alle drei Parteien haben während des Wahlkampfes vollmundig von RESPEKT gesprochen und dies auch breit plakatiert. Das erwarten wir für unsere Branche selbstverständlich auch: Respekt, Gleichberechtigung und Gleichstellung – keine Klischees, keine Pauschalierungen, keine Kriminalisierung, keine Paternalisierung.

Spannend bleibt die Frage, ob Sexarbeit im künftigen, noch zu verhandelnden Koalitionsvertrag auftaucht und wenn: wie?

Die Humanisten, die sich am deutlichsten für Prostitution ausgesprochen haben, blieb leider der Einzug in den Bundestag verwehrt.
Die Linke, bei der wir auf eine mehr oder weniger gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit zurückblickten, hat den Einzug in den Bundestag – in Fraktionsstärke und nur aufgrund von drei errungenen Direktmandaten –  geschafft. So können sie aus der gewohnten Opposition heraus weiter für uns kämpfen.

Für weitere Hetze, Verunglimpfung und Aktionen für ein Prostitutionsverbot wird wohl Frau Leni Breymeyer sorgen, die zwar ihren Wahlkreis nicht gewinnen konnte, aber über die Landesliste abgesichert war und wieder in den Bundestag eingezogen ist. Von hier sind sicher keine Lösungen für die anstehenden Probleme von Sexarbeiter*innen zu erwarten. im Gegenteil: die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie sehr sie Gewalt an Sexarbeiter*innen und deren fehlende Integration in den Sozialsystemen bewusst und gewollt in Kauf nahmen. …..damit stellen sie ein Prostitutionsverbot über alles, selbst über den Schutz der Sexarbeiter*innen, der ihnen angeblich so wichtig ist.
Damit positioniert sich ein Teil der SPD weit hinter ihren traditionellen sozialdemokratischen Werten. Es bleibt zu hoffen, dass nicht alle SPD-Bundestagsabgeordnete dies unterstützen und die möglichen Koalitionspartner dem standhaft entgegentreten.

Schlagwort: Wahlen