Zahlen – immer wieder Zahlen…

Zahlen – immer wieder Zahlen…

Wer das Thema Sexarbeit in den Medien verfolgt, trifft immer wieder auf verschiedenste Zahlen, die ohne Belege genannt werden, z. B. bezüglich der in Deutschland arbeitenden Sexarbeiter*innen. Ob 200.000, 400.000 oder sogar 1 Millionen Sexarbeiter*innen oder doch nur 60.000 oder 70.000…

Meist werden die obigen Zahlen ungefragt übernommen und vor allem unreflektiert und ungeprüft wiederholt, wiederholt und wiederholt – von Journalist*innen, Politiker*innen, Student*innen und Aktivist*innen sämtlicher Couleur.

Durch die ständige Wiederholung werden sie jedoch nicht wahrer.

Wir haben mehrmals auf diese Problematik aufmerksam gemacht.

Auch die Journalistin Wibke Becker hat sich für die FAZ die Mühe gemacht und ganz tief recherchiert, um das „Spiel mit diesen Zahlen“ detailliert zu prüfen, auseinanderzunehmen und in Ihrem Artikel „Rotlicht“ auf diese Problematik aufmerksam zu machen.

… und noch mehr Zahlen

Inzwischen liegen auch die neusten Zahlen des Statistischen Bundesamtes aufgrund der Datenerhebung nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) vor. Danach waren Ende 2022:

  • 28.280 Sexarbeitende sowie
  • 2.310 Betriebe

in Deutschland registriert.

Die weiteren Details können der Presseerklärung entnommen werden.

Damit haben sich noch längst nicht alle Sexarbeiter*innen wieder angemeldet, die vor der Corona-Pandemie in Deutschland registriert waren. Ende 2019 waren 40.400 Sexarbeiter*innen registriert.

Umfrage zum Wohlbefinden von Sexarbeiter*innen in 2023

Umfrage zum Wohlbefinden von Sexarbeiter*innen in 2023

Über die Sexarbeit mit seinen vielen Facetten und verschiedenen Akteure gibt es wenige verlässliche Daten – dagegen viele Mutmaßungen, Schätzungen und noch mehr Phantasien und Klischees. Umso wichtiger sind konkrete Umfragen.

Erobella, ein großes Erotikportal, führte eine weitere Umfrage unter 150 Sexarbeiter*innen durch und kam zu folgendem Ergebnis:

  • Die meisten SexarbeiterInnen sind der Meinung, dass sie guten Zugang zu rechtlicher, gesundheitlicher und beraterischer Unterstützung haben.
  • Die meisten SexarbeiterInnen fühlen sich in der Nähe ihrer KundInnen sicher.
  • Riskante Situationen in der Sexarbeit scheinen selten zu sein, aber sie kommen vor.
  • Nur 46 % der befragten SexarbeiterInnen gaben an, dass dies ihre Hauptbeschäftigung ist.
  • Die große Mehrheit der SexarbeiterInnen ist mit ihren derzeitigen Arbeitsbedingungen zufrieden.
  • Die meisten SexarbeiterInnen sind mit ihrem derzeitigen Einkommen zufrieden.
  • Die meisten SexarbeiterInnen halten Untersuchungen auf Geschlechtskrankheiten (STDs) für sehr wichtig und lassen sich mindestens alle 6 Monate untersuchen.

Die Ergebnisse sind im Detail auf der Websie von Erobella nachzulesen.

UglyMugs NL – was soll das?

UglyMugs NL – was soll das?

Im Rahmen unserer Kampagne gegen die verschärfte Freierbestrafung beschäftigen wir uns erneut und detailliert mit KUNDEN, also Frauen und Männern, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen.

Die einen sagen:
Kunden sind eklig, alt, frech, gewalttätig, übergriffig, verachtend, herablassend und beachten keine Absprachen.

Wir sagen:
Kunden sind in der Mehrzahl respektvoll, fürsorglich, sauber, benötigen unsere Dienstleistungen und sichern unseren Lebensunterhalt.

Die meisten Sexarbeiter*innen stimmen unserer Aussage aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrungen zu.

Aber natürlich gibt es auch die Negativbeispiele. Dafür griffen in Holland die NGO`s Soa Aids und Proud eine Initiative aus England auf und richteten mit finanzieller Unterstützung des Niederländischen Justizministeriums die Plattform UglyMugs NL ein.

  • Hier können Sexarbeiter*innen, die sich vorher registrieren müssen, informieren, ob ihr Kunden vorher schon mal negativ aufgefallen ist. Dann besuchen sie ihn natürlich nicht.
  • Hier bekommen Sexarbeiter*innen aber auch Unterstützung nach einer negativen Erfahrungen mit einem Kunden und werden ggf. begleitet zum Arzt, zur Polizei und in einem möglichen Gerichtsprozess.

Es bleibt abzuwarten, ob die Plattform unter Sexarbeiter*innen bekannt gemacht wird und ob diese sie dann im täglichen Geschäft nutzen und ebenfalls auf die Hilfe zurückgreifen. Dafür ist sicher erforderlich, dass die Plattform – in Streetwork – und mit Aufklebern und Broschüren bekannt gemacht werden wird.

Presse hierzu:
Unternehmen-heute: Brennpunkte-Website in den Niederlanden zum Schutz vor gewalttätigen Freiern gestartet
(Anmerkung: Vorsicht vor den Zahlen: die Studie wurde falsch zitiert.)

Interview beim WDR Cosmo: Sexarbeit-Plattform soll Frauen besser schützen

11. August 2015 – Amnesty International für die Menschenrechte von Sexarbeiterinnen + Sexarbeitern

BRAVO Amnesty International!
Auf ihrer letzten internationalen Ratstagung in Dublin hat Amnesty International eine wichtige Entscheidung zum Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern getroffen.
Vorausgegangen waren über 2-jährige Untersuchungen und Konsultationen über die Lebens- und Arbeitssituationen von SexarbeiterInnen weltweit. Lobenswerterweise hatten sie sich besonders auf Informationen von SexarbeiterInnen gestützt, waren also in Dialog getreten mit den „Betroffenen“, den ExpertInnen. Dazu gehörten Organisationen von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, Gruppen von ehemaligen Prostituierten, Organisationen, die sich für die Abschaffung der Prostitution engagieren, verschiedene Menschen, die sich für die Rechte von Frauen und Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen und Intersexuellen (LGBTI) einsetzen, Organisationen, die sich gegen den Menschenhandel und solche, die sich für Betroffene von HIV und AIDS einsetzen. Auch haben sie Position von Untersuchungen einbezogen, die unter anderem von UN-Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO, UNAIDS, UN Women und dem UN-Sonderberichterstatter über das Recht auf Gesundheit durchgeführt wurden.
Dabei haben sie festgestellt, dass „Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter überall auf der Welt zu den schutzbedürftigsten Gruppen der Gesellschaft gehören. Sie befinden sich in den meisten Fällen in ständiger Gefahr, Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch zu werden.“ „Zu den Menschenrechtsverletzungen, denen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter ausgesetzt sind, gehören unter anderem körperliche und sexuelle Gewalt, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Erpressung und Drangsalierungen, Menschenhandel, erzwungene HIV-Tests und medizinische Eingriffe. Zudem wird ihnen der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, Wohnungen und anderen Sozialleistungen und zu gesetzlichem Schutz verweigert.“
Mit der Resolution empfiehlt die Internationale Ratstagung die Entwicklung einer politischen Position, zu der auch die umfassende Entkriminalisierung aller Aspekte einvernehmlicher sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen gegen Entgelt gehört. Weiter soll die Position Staaten auffordern, Maßnahmen zu treffen, damit Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter umfassend und diskriminierungsfrei vor Ausbeutung, Menschenhandel und Gewalt geschützt sind.
Zur Entkriminalisierung gehören nicht nur Rechte, sondern auch geschützte Arbeitsplätze in den Bordellen, also Rechtssicherheit und klare gesetzliche Rahmenbedingungen.
Damit hat Amnesty International, trotz des heftigen weltweiten Protestes von ProstitutionsgegnerInnen, ihre grundsätzliche Haltung beibehalten: Menschenrechte gehören ALLEN – niemand kann darüber entscheiden – der Staat und die Gesellschaft haben die Menschenrechte von allen Menschen zu schützen. Das ist keine Frage der Moral., es ging also nicht darum zu entscheiden/oder zu bewerten, ob Sexarbeit – im Auge des Betrachters – also gut oder schlecht ist. Die Entscheidung der SexarbeiterInnen sind zu respektieren.
Damit hat Amnesty International den Grundstein gelegt für seine Arbeit in der Zukunft, wo sie im Einzelnen sich mit den Situationen von SexarbeiterInnen in den jeweiligen Ländern auseinandersetzen werden müssen. Dies, wie auch Aktionen bleiben abzuwarten.
Insbesondere wird spannend werden, wie sie sich in Deutschland in die aktuelle Debatte um das sog. Prostituiertenschutzgesetz einmischen und positionieren werden. Werden sie ein starker Bündnispartner werden und an unserer Seite sich stark machen,
– gegen die geplante diskriminierende Registrierungspflicht von SexarbeiterInnen,
– für eine Aufhebung sämtlicher diskriminierender Gesetze, wie der Sperrbezirksverordnungen, den fragwürdigen Methoden der Finanzämter, etc. und sich einsetzen
– für eine Konzessionierung einer Vielfalt von kleinen und großen bordellartigen Betrieben, mit verschiedenen Segmenten und gegen die diskriminierende Haltung der Bauämter, wo dann endlich nach einer gewissen Rechtssicherheit u. a. über Mindeststandards diskutiert werden kann?

Zur Meldung
Menschenrechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern schützen

Schlagwort: Sexarbeiter*innen