Letzten Freitag fand auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion eine Debatte im Bundestag statt. Unter dem Titel „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution – Sexkauf bestrafen“ konnte jede Fraktion entsprechend ihrer Größe seine Position präsentieren. Dafür wurden den Bundestagsabgeordneten insgesamt 55 Minuten eingeräumt!
Wir sind – ein weiteres Mal – schockiert, wie Frau Bär, Frau Winkelmeier-Becker/CDU/CSU und Frau Breymeier/SPD für die Einführung des sog. Nordischen Modells als „heilsbringenden Paradigmenwechsel“ in Deutschland argumentieren. Dabei scheuten sie sich nicht
- Lügen zu verbreiten, indem sie Einzelfälle als normale Situationen in der gesamten Branche erklären,
- mit falschen Zahlen zu jonglieren und dabei die tatsächliche Faktenlage ignorierten und
- mit drastischer Sprache zu skandalieren und zu polarisieren.
Alle Erfahrungen aus Ländern wie z. B. Schweden, Norwegen, Irland und Frankreich mit deren „Freierbestrafung“ lassen sie konsequent außer Acht, wie auch die Warnungen der Sexarbeiter*innen, der Fachberatungsstellen für Prostituierte und NGO`s wie DAH, Diakonie und dem Institut für Menschenrechte. Es liegen inzwischen ausreichend Studien vor, die bestätigen, dass die Vulnerabilität der Sexarbeiter*innen zugenommen hat. Die Kriminalisierung der Kunden hat direkte negative Auswirkungen auf die Sexarbeiter*innen.
Auch die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie mit einem Verbot der Prostitution und den geschlossenen Bordellen negieren sie. Diese Zeit hat uns Allen deutlich vor Augen geführt, welchen Gefahren Sexarbeiter*innen ausgesetzt sind, wenn sie auf den Schutz der Bordelle und des Staates mit anerkannten Rechten nicht mehr zurückgreifen können.
So berichtet eine Sexarbeiterin aus Schweden: „Wenn meine Kunden verfolgt und mit Geldbußen, etc. bestraft werden, wenn sie sich mit mir treffen wollen, fällt ein Teil meiner Kundschaft weg. Ihnen ist das Risiko zu hoch. Die anderen wollen sich nur an Orten mit mir treffen, an denen ich allein und nicht sicher bin. Und ein anderer Teil der Kunden nutzt diese Situation aus, ist übergriffig, gewalttätig und achtet nicht meine Regeln, denn sie wissen, ich werde nicht zur Polizei gehen.“
Ermutigend traten die Politiker*innen aller anderen Fraktionen auf. Sie forderten, Politik ausschließlich auf Basis von gesicherten Daten und Fakten und einer sachlichen Diskussion zu machen und auf jeden Fall die Ergebnisse der laufenden Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) abzuwarten.
CDU/CSU und Teile der SPD scheinen aber hier zu befürchten, dass ihre „Geschichtserzählungen“ und Mythen widerlegt werden. Oder stehen hier machtpolitische, moralische Spielchen im Vordergrund: der Griff nach Ministerposten nach einer möglichen Regierungsumbildung? Ist ihnen dafür jedes Mittel recht – auch die primitivsten – ? Das ist eines Rechtsstaates nicht würdig!
Auf jeden Fall ist einmal mehr als deutlich geworden, dass der Schutz von Sexarbeiter*innen nur ein vorgeschobenes Argument ist. Denn alle aufgeführten Vorschläge dienen nicht dem Schutz von Sexarbeiter*innen – missachten aber deren aller Rechte.
Unbestritten gibt es Probleme, Gewalt, Zwang und Ausbeutung in manchen, aber wenigen Bereichen der sehr vielschichtigen Prostitutionsbranche – wie übrigens auch z. B. in der Landwirtschaft, der Fleischindustrie, der Hotellerie und im Baugewerbe. Dafür gibt es ausreichende Strafgesetze, die angewandt werden müssen und auch werden. Doch die Mehrzahl der Sexarbeiter*innen und Bordellbetreiber*innen arbeiten seriös, fair und handeln gesetzestreu. Sie alle unter Kriminalverdacht zu stellen ist kontraproduktiv, falsch und unehrlich.
Das sog. Nordische Modell bietet auch in Einzelfällen keine Lösung. Helfen können nur
- eine konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze,
- die absolute Gleichstellung der Betroffenen mit anderen Erwerbstätigen und Unternehmen – mit Rechten und Pflichten und
- letztendlich eine breite Professionalisierungs-Kampagne.
Only rights can stop the wrongs!
Die Sexarbeitsbranche muss mit allen Rechten (neben den Pflichten) im allgemeinen Wirtschaftsleben und der Gesellschaft integriert werden.
Redet mit uns: Sexarbeiter*innen, Bordellbetreiber*innen und Kund*innen sind die Experten!
Quellen:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw08-de-prostitution-990250 (Antrag und alle Reden zum Nachlesen bzw. Nachhören)
Pressemitteilung des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-990904
26. 02. 2024
Stephanie Klee Tel. 0174 91 99 246
Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V
Schon zuvor hatte sich die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages mit dem Positionspapier vom 07. 11. 2023 „Menschenunwürdige Zustände in der Prostitution beenden – Sexkauf bestrafen“ festgelegt: https://www.cducsu.de/sites/default/files/2023-11/Positionspapier%20Sexkauf%20bestrafen.pdf
Bundesjustizminister Marco Buschmann äußerte sich schon vorher zum sog. Nordischen Modell und lehnte dies ab: Prostitution: Marco Buschmann gegen Sexkauf-Verbot, mildere Strafe in Sperrbezirken – DER SPIEGEL