Dokumentation „Lovemobil“

22.03.2021: Aus aktuellem Anlass muss mitgeteilt werden, dass die Filmemacherin keine reine Dokumentation ablieferte, sondern „einen großen Teil“ nachspielen ließ von Schauspielerinnen und Bekannten. Der NDR, der mitfinanzierte, distanziert sich inzwischen von dieser Arbeit.

https://www.ndr.de/NDR-distanziert-sich-vom-Dokumentarfilm-Lovemobil,ineigenersache106.html?s=09

https://www.spiegel.de/kultur/kino/dokumentarfilm-lovemobil-von-elke-lehrenkrauss-ndr-legt-faelschungen-offen-a-25f83da0-082c-473c-befd-83cd520445ea

Damit ist auch dieser Film sehr fragwürdig und lässt die Frage offen, hat auch sie sich – auf Kosten der Sexarbeiter*innen – positioniert? Fakten und Berichte so verdreht, dass sie in ihr Konzept passten? In das womit sie sich der Aufmerksamkeit und der Preise sicher sein konnte? Muss sie jetzt die erhaltenen Preise zurückgeben?

Unseren ursprünglichen Text wollen wir allerdings nicht streichen:
Die Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss recherchierte 3 Jahre lang über die Arbeit von Sexarbeiter*innen in sog. Lovemobilen. Entstanden ist letztendlich eine fantastische Dokumentation über zwei Sexarbeiterinnen, Milena aus Bulgarien und Rita aus Nigeria, und Uschi, die Vermieterin der Lovemobile an einer Landstraße in Niedersachsen. Aber auch nicht mehr!

Der Film zeigt das Besondere dieses Prostitutionsarbeitsplatzes, wenn auch meist in dunklen Farben:
– das stundenlange Warten auf die Kunden,
– bei Tag und bei Nacht – zu allen Jahreszeiten,
– das ständige Rauschen der vorbeifahrenden Autos auf der befahrenen Landstraße,
– die Gefahr des Alleinseins, wo die nächste Kollegin mal nicht eben schnell besucht oder gerufen werden kann, ein Austausch so nur selten stattfindet.

Der Film zeigt aber auch, wenn man genauer hinschaut, die Stärke der beiden Sexarbeiterinnen. Sie haben ihre Heimat verlassen, weil sie mehr wollen als Hunger und Not, die bereit sind, für ihre Familien alles aufzugeben und sich auf Neues einzulassen. Die die deutsche Sprache erlernen, Tipps und Tricks der Sexarbeit lernen einzusetzen und Schritt für Schritt selbstständiger werden, Freundinnen besuchen, Männer kennen lernen wollen, aber doch in die Prostitution zurückkehren, weil die ihnen mehr bietet als ein Putzjob oder leere Versprechungen von Kunden.

Neben der Tatsache, dass hier nur 2 Sexarbeiterinnen von sich, ihrem Leben, ihrem Job und ihren Träumen berichten, – was nicht auf alle Sexarbeiter*innen in Lovemobilen übertragen werden kann -, spiegelt sich in diesem Film unsere Gesellschaft:
– mit den globalen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten,
– den Nöten der weltweiten Migration,
– den Machtstrukturen,
– und alltäglichem Rassismus, etc.

Uschi, die Vermieterin der Lovemobile, hat eindeutig die negativere Rolle. Sie vermietet die Lovemobile, stellt also den Sexarbeiter*innen den komplett eingerichteten Wohnwagen als Arbeitsplatz zur Verfügung und muss zusehen, dass dieser jeden Tag besetzt ist, sie ihre Miete bekommt, um selbst davon zu leben. Dazu gehören natürlich auch die unnötigen Reparaturen nach „Anschlägen“ auf die Wagen und die ungeheure Bürokratie mit den verschiedensten Behörden.
Aber sie ist auch „Zuhörerin“, „Trösterin“ und in gewisser Weise auch Anleiterin, denn als ehemalige Sexarbeiterin kennt sie den Job sehr gut und kann manch Professionalisierungstipp anbringen.

Elke Margarete Lehrenkrauss ist es gelungen, allen Protagonist*innen auf Augenhöhe zu begegnen, sie pur zu zeigen und so stehen zu lassen, wie sie sich darstellen. Das ist grandios.

Schade ist, dass sie auf eine weitere Protagonistin verzichtet hat, eine deutsche Sexarbeiterin, die ein selbstbestimmtes und freies Arbeiten im Lovemobil, trotz interessanter Alternativen, wählte. (Bei der Scharmkunstaktion „Strich / Code / Move“ konnten weitere Filmausschnitte gezeigt werden – bald auch in Bochum.)

Für Nicole Mercedes, die ebenfalls in einem Lovemobil arbeitet, bedeutet die Arbeit hier, im Gegensatz zur Arbeit in einem Bordell, die totale Freiheit. Sie muss sich nicht an Arbeitszeiten oder Hausordnungen/Regeln halten, kann kommen und gehen, wie sie will. Sie kann auch mal die Gardinen zuziehen und keine Kunden empfangen, wenn ihr danach ist. Im Lovemobil ist sie unabhängiger. Muss nicht mit Kolleginnen konkurrieren und sich in ein Team einfügen: sie ist ihre eigene Herrin.
Auch liegt für sie ein gewisser Charme von Abenteuer über dem Arbeitsplatz Lovemobil – so in der „Wildnis“, im Freien, in der Natur und Wind und Wetter ausgesetzt. Sie kritisiert den Film sehr, weil er u. a. das Klischee der „armen“ Sexarbeiterin bedient, weil er „Deep Throat“ als gängige und unumstößliche Sexualpraktik stehen lässt und Migrantinnen immer nur in ihrer Not darstellt und nicht in ihren persönlichen Entwicklungen.

Natürlich geht jetzt wieder ein Aufschrei durchs Land. Der 2019 fertig gestellte Film startet jetzt in den Kinos. Überall finden Vorstellungen mit Diskussionen statt und schnell heißt es: ach, die armen Frauen! Das müsste verboten werden!

Ich würde mir wünschen, wenn in den Diskussionen mehr der Fokus auf die Stärken der Frauen und ihre Eigeninitiativen gelegt würde, wenn über strukturelle und staatliche Rahmenbedingungen gesprochen würde und man den Frauen zuhört und sie unterstützt in ihren klaren Forderungen nach Verbesserungen ihrer Arbeitsplätze und nach gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie Respekt für ihre Arbeit, nach einem besseren Preis-Leistungsverhältnis, nach (bezahlbaren) Wohnungen, Nachzug der Familien, Krankenversicherungen, etc…..Dann hätte diese Dokumentation was Positives für die Protagonistinnen gebracht.

Danke an die drei Frauen, die uns so offen begegnen!

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=YCzT21QHQ2Y

https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer/lovemobil-2019

https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/westart/video-der-dokumentarfilm-lovemobil-auf-dem-kinofest-luenen-100.html

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