„Befreundet mit einer Hure …“

Gastbeitrag von c Hanni

Es ist schon viele Jahre her, dass ich (weiblich und nicht selbst in der Sexarbeit tätig) einen ersten und freundschaftlichen Kontakt zu einer Hure fand. Er flog quasi auf mich zu, wie so vieles Andere, während man als Teenager dabei, ist die Welt zu entdecken. Ich war neugierig und berührt – von ihr aber auch von einer Zeit, wo die ersten Abende und Nächte meines Lebens in einer Diskothek verschwanden und die grelle Glitzerwelt auf mich einwirkte. Viele tanzten dort, andere redeten, überall standen Drinks, die Musik drängte an die Ohren, die Luft war verqualmt, die Menschen angeregt. Ich schaute neugierig auf das Treiben, kannte ich dieses Sein bis dahin doch eher nur vom Erzählen oder aus Filmen. Ich war 17 und es war mitten in den 80er Jahren; Männer gefielen sich in ihrer eher starken Rolle, Frauen wussten aber auch um ihre eigenen Stärken. Unter ihnen fiel
mir auf der Tanzfläche jemand auf, die sich abhob in ihrer Körpersprache. Ihr Blick hatte etwas Spezielles, das mich anzog. Dunkle kürzere Locken, ein starker kräftiger Körper, wenig Schminke, weiter loser Pulli über enger heller Jeans. Wir plauderten zwanglos. Die Nacht verging.

Wenige Tage später lief ich tagsüber in dem Viertel rund um die Lokalität umher, als ich aus einem kleinen türkischen Imbiss heraus angesprochen wurde: da war sie, die so besonders getanzt hatte. Sie lud mich auf einen Kaffee zu sich ein, nur wenige Schritte entfernt.

So begann einer meiner intensivsten Freundschaften. Sie war neugierig auf mich, weil auch ich etwas anders war als die durchschnittliche Kundschaft des Tanzlokals. Irgendwann meinte sie, wenn ich Lust hätte, etwas Geld zu meinem Lehrlingsgehalt hinzu zu verdienen, könne ich mal mitkommen. Das Geld war mir unwichtig, aber ich begleitete sie trotzdem an ihren Arbeitsplatz. Es brauchte eine Weile, bis ich begriff, wo ich mich genau befand, saß ich doch in einem Wohnzimmer auf einer großen Couch, die um 2 Ecken ging. Ein Fernseher lief, 2
weitere Frauen waren dort, die Rollos zur Straße heruntergelassen, und eine etwas ältere Frau kam auf mich zu. Sie meinte zu meiner neuen Freundin, dass es ok wäre. Ich blieb und wartete und schaute und trank Kaffee und hörte den Anrufen zu, bei denen sich Freier erste Infos holten, was ihnen Gutes angeboten würde. Ab und an klingelte es an der Haustür, Herren wurden herein gebeten und von einer der Frauen in ein benachbartes Zimmer begleitet. Wenige Minuten später kam sie noch einmal heraus, und es wurde geklärt, wer sich von ihnen um
den Kunden kümmern sollte. Nach getaner Zuwendung incl. Bezahlung in bar verließ der Mann die Häuslichkeiten und der Tag schlich in seiner Routine weiter. Man sah wenig von den Gesichtern der Männer, insgesamt waren es vor allem schüchterne Auftritte auch bei denen, die nicht das erste Mal kamen.

Manchmal gab es Probleme ums Kondom, weil Männer darauf verzichten wollten. Manchmal wollte jemand eine zweite Nummer. Manchmal musste improvisiert werden fürs Zuschauenwollen. Aufführungen im Käfig oder mit anderen Sonderwünschen wurden vorher abgesprochen. Es schien alles normal, es war alles normal – nebenbei unterhielt man sich, spielte Karten, lieh einen Film aus, tratschte oder ging einkaufen. In den Monaten und Jahren änderte sich nicht viel, ich kam oft zu Besuch, trank einen Kaffee mit den Damen, tauschte mich aus, hörte ihnen zu aus ihrem ganz normalen Alltag, der z.T. mit Partner geteilt wurde, sah die Probleme, wie sie jeder Mensch hat, sah aber auch die Freuden, die sie sich wünschten. Manchmal half ich aus mit Begleitung zum Amt oder in gesundheitlichen Angelegenheiten. In wenigen Fällen schlief ich dort, es war fast eine behütete Zeit. Das Geschäft war natürlich nicht gänzlich unbeaufsichtigt, aber das vollzog sich für die Freier im Hintergrund und war ebenfalls völlig gewaltfrei.

In meiner anfänglichen Naivität sah ich denn auch keine großen Probleme, mit der Zeit und bei Besuchen anderer Einrichtungen (vom Sauna-Club über 2 Etagen bis hin zur Anschaffmeile in einer anderen Stadt) erfuhr ich aber, wie diese Geschäfte auch getätigt wurden. Ich lernte Frauen kennen, denen übel mitgespielt wurde; Frauen, die auf der Flucht waren; Frauen, die unter großem Druck standen; Frauen, die dringende Hilfe brauchten; Frauen die zu schwach waren. Und ich sah Männer, die nicht so schüchtern daher kamen wie in „meinem“ Wohnzimmer, sah ihre Gier, sah ihre Härte, sah Gewalt.

In all diesen Jahren des Begleitens in erster Reihe habe ich erkannt, dass die Frauen nicht genug Unterstützung haben können. Und ich sah gleichzeitig, wie wichtig diese Arbeit war und ist. Mein Respekt wurde groß und größer. Schien es anfangs ein Leichtes, sich ein paar Scheine einzustecken für etwas Körperlichkeit, war mir bald klar, dass es hier mehr bedurfte. Vom Zustand des Körpers bis hin zu den inneren Quellen wie Einfühlungsvermögen bei gleichzeitiger Stärke und einer gewissen Neigung unter all den Auflagen des Gesetzes und der täglichen Gefahr für Geist und Körper durch irre Freier war und ist es kein Job für Jede(n). Und dann waren auf der anderen Seite diese Unmengen bedürftiger Männer, arm wie reich, jung oder alt, hässlich bis
gutaussehend, einsam und gebunden. Wer sollte das alles leisten? Der sexuelle Hunger war einfach da. Und die Entspannung, die Zufriedenheit, die sich nach einem Akt bei fast allen einstellt, ist allein schon gesellschaftlich gesehen unbezahlbar. (Wobei hier natürlich alle Geschlechter-Kombinationen gedacht sind.)

Für mich war es kein Weg, professionell zu arbeiten. Meine positive Einstellung und sexuelle Aktivität blieb privat. Aber auch dabei habe ich entdeckt, welche Macht und welche Auswirkung das Spiel der Hormone hat, wie sehr eine gelebte, zufriedenstellende Sexualität einen Ausgleich schaffen kann Sie entstresst, lässt aufatmen, macht glücklich, entspannt, bringt im Alltag neue Kraft. Nicht nur – aber auch. Bei dem einen ist es der Akt selbst, beim nächsten der Bezug zu einem anderen Menschen durch diese intime Spielart. Wie schön zu sehen, wenn Scham, Druck, religiöse Enge, negative Vorbilder übergehen in Freiheit, Entspannung, Offenheit, Selbstbewusstsein. Meine Beobachtung ist und war, dass eine positiv gelebte und mitunter auch bezahlte Sexualität mit Einvernehmen aller ein Hauptgrund ist, Leben positiv leben zu können. Die Sexualität unterliegt dabei keinen Zwängen in Bezug auf Art und Häufigkeit und Zweisamkeit, jeder ist frei zu wählen, ob man es überhaupt macht, ob man ein oder mehrere Male im Jahr zu einer Hure geht, ob man sich jeden Morgen einer innigen Umarmung mit seinem Partner hingibt, ob man sich gleichgeschlechtlich liebt oder ob man sich mit
einem Betrachten eines Films glücklich macht. Lassen wir uns doch alle die Freiheit – in fester und treuer Partnerschaft oder aber auch in professioneller Sexarbeit. Jeder wird mit anderen Wünschen geboren und/oder sozialisiert.

Lassen wir uns offen damit umgehen, solange Gewalt außen vor bleibt. Lassen wir jedem sein Glück. Gerade in diesen Zeiten, wo es fast nur noch Entweder-Oders gibt, ist es wichtig, all die Schattierungen zu sehen und leben zu können, die das Leben reich machen. Und dass Sexarbeiter/innen keine Un-Menschen sind (wie es schnell in der Gesellschaft belegt wird), habe ich selbst erfahren. Sie haben ihre eigenen Gründe, genau diesen Job zu machen – genauso wie es Gründe gibt, Arzt, Rechtsanwalt, Schlosser, Kindergärtner, Koch, Künstler,
Altenpfleger, Masseur, Friseur zu werden. Unter all diesen Berufsausübenden gibt es Menschen, die ihren Job lieben oder ihn nur wegen des Geldes machen, die gezwungen werden oder sich einfach mal ausprobieren. Sie alle sind Teil und wichtige Glieder in der Gesellschaft, die Sexarbeit ist es auch. Aus meinem reichen Leben in Bezug auf das Kennenlernen von Menschen aus allen Milieus (Manager, Studenten, Bauarbeiter, Mediziner, Ärzte, Strafgefangene, Esoteriker, Drogenkranke, Büroangestellte, Künstler, Verkäufer, Sportler etc.) weiß ich, dass das Leben und Sein und Fühlen vielfältig ist, dass es überall „solche und solche“ gibt. Es gibt keinen Grund, bestimmte Jobs wie Sexarbeit zu verurteilen. Man kann nur bestimmte Umstände verurteilen, und die finden sich genau so in anderen Branchen, wo Kinderarbeit alltäglich oder Tierquälerei normal sind bzw. Lohndumping und menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse existieren. Mir sind selbst viele dieser schlimmen Verhältnisse in sogenannten „normalen“ Branchen begegnet.

c Hanni

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