Sehr geehrte Frau Norak,
wir haben Ihren Facebook-Beitrag „Mutmaßlich Privatdetektiv auf mich angesetzt“ mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Warum sollte jemand einen Privatdetektiv beauftragen?
Dagegen finden wir es ungeheuerlich, das Sie den Internationalen Hurentag instrumentalisieren, um auf Ihre eigene Geschichte aufmerksam zu machen und diese zu verquicken mit der Forderung nach einem Sexkaufverbot.
Seit der Besetzung der Kirche Saint Nizier in Lyon im Jahre 1975 durch Kolleg*innen, die sich gegen die staatliche Repressionen, Razzien und falschen Beschuldigungen von Kindern und Partnern als Zuhälter, wehrten, wird der 2. Juni weltweit als Gedenktag begangen. Sexarbeiter*innen und ihre Freunde beschreiben ihre Arbeits- und Lebensrealitäten und machen auf strukturelle, staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung aufmerksam. Bordelle zeigen Transparenz und führen Tage der Offenen Tür durch.
Dieses Jahr forderten wir – unter den Auswirkungen der Pandemie – die Gleichstellung mit anderen Gewerben, also die Öffnung der Bordelle und die Erlaubnis von Prostitution, um endlich wieder in einem sicheren Umfeld arbeiten und eigenes Einkommen generieren zu können.
Warum sollten Sexarbeiter*innen und Bordellbetreiber*innen schlechter gestellt sein als Künstler, Gastronome, Hoteliers, Masseure, etc.?
Warum sollten Sexarbeiter*innen ihre sexuellen Dienstleistungen im Dunklen, allein, in gefahrvollen Situationen, in Abhängigkeiten anbieten?
Corona hat keine neue Erkenntnisse hervorgebracht: fehlender privater Wohnraum und Unzulänglichkeiten bei der Krankenversicherung waren hinlänglich bekannt, wie auch das gesetzliche Wirrwarr und der deutschlandweite Flickenteppich rund um das ProstituiertenSchutzGesetz. Ganz zu schweigen vom fehlenden Respekt und Rechten.
Dagegen ist deutlich geworden, mit wie viel mehr Gewalt und Ausbeutung Sexarbeiter*innen außerhalb der Bordelle konfrontiert sind. Das können Sie nicht ernsthaft gegrüßen?!
Während Sie pauschal die gesamte Prostitutionsbranche verteufeln, keine Gelegenheit auslassen, Fakenews zu verbreiten, wie „alle Sexarbeiter*innen seien Opfer“, „alle Kunden Täter“ und „alle Bordellbetreiber*innen Ausbeuter“, bevorzugen wir einen differenzierten Blick. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Wir fördern Empowerment und Professionalisierung, damit jede Sexarbeiter*in in jeder Situation ihre Rechte kennt und sich zwischen Alternativen entscheiden kann. Also auch: für oder gegen die Prostitution.
Bordellbetreiber*innen ständig als Profiteure und als Pro-Prostitutions-Lobby zu bezeichnen, bringt auch nichts, sondern ist nur ein Spiel mit negativen Klischees.
Sie generalisieren Ihre persönliche Geschichte, die, wie Sie selbst sagen, geprägt war von emotionaler Abhängigkeit. Dies auf alle Sexarbeiter*innen zu übertragen, ist nicht nur falsch und paternalistisch, sondern auch zutiefst entmündigend.
Für Ihre Botschaft sollten Sie sich einen anderen Tag aussuchen. Der Internationale Hurentag steht für Selbstbestimmung und Freude und Empowerment in der Sexarbeit.
Sexarbeitsrechte sind Menschenrechte!
Download Offener Brief Sandra NorakJuni2021